„ES GAB KEINE HUNGERSNOT IN GAZA … […]“, meint die Organisation UK Lawyers for Israel (siehe Times of Israel, 24. Februar 2025)
Bilder von Kinder, die nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen scheinen, sprechen allerdings eine andere Sprache. Zum Beispiel ein Bild von Jana Ayad, aufgenommen in einem Feldspital in Deir al-Balah im Süden des Gazastreifens, 22. Juni 2024.
Wie im letzten Blogbeitrag berichtet, verhängte Israel am Tag 1 nach dem Auslaufen von Phase I des Waffenstillstands eine Blockade über Gaza. Nach der Anfang Januar zwischen der Hamas und Israel geschlossenen Vereinbarung hätte nach der Phase I die Phase II in Kraft treten sollen. Phase II sieht die Freilassung aller verbliebenen Geiseln, einen unbefristeten Waffenstillstand und den vollständigen Rückzug der israelischen Armee aus Gaza vor.
Die Verhandlungen über Details der Phase II hätten während der Phase I stattfinden sollen. Israel hat diese Verhandlungen sabotiert und im letzten Moment seine Bereitschaft, in Phase II einzutreten, ganz offiziell zurückgezogen. Stattdessen möchte Israel nun die Freilassung aller noch verbliebenen Geiseln gegen einen weiteren befristeten Waffenstillstand. Das hat die Hamas umgehend abgelehnt.
Am 19. Februar hatte die Hamas einen Vorschlag für einen dauerhaften Waffenstillstand unterbreitet. Sie wäre bereit, dafür alle Geiseln freizulassen. In deutschen Medien wurde über diesen Vorschlag nicht berichtet. Netanjahu lehnt den Plan ab.
Die Hamas erklärt, sie lege keinen Wert darauf, Teil einer künftigen Regierung in Gaza zu sein. Sie besteht nur darauf, dass es einen nationalen palästinensischen Konsens über die Regierung gibt. Die israelische Forderung, die Hamas müsse ihre Waffen abgeben, weist sie zurück.
Israel hatte schon während der Phase I seinen Teil der Vereinbarungen bei weitem nicht vollständig erfüllt. Ich weiß nicht, ob es überhaupt einen einzigen Tag während der Waffenstillstandsphase gab, an dem nicht irgendwo in Gaza ein israelischer Soldat einen Palästinenser erschossen hat. Insgesamt starben während dieser Phase 116 Menschen durch israelische Waffengewalt. Meldungen über Angriffe der Hamas auf israelische Soldaten sind mir nicht untergekommen.
Hilfslieferungen wurden bei weitem nicht im vereinbarten Ausmaß nach Gaza durchgelassen. Es kamen durchschnittlich nur etwa halb so viele Hilfsgüter bei den Menschen an wie vor dem Krieg. Dabei ist der Bedarf an humanitärer Hilfe aufgrund der Zerstörungen und der großen Zahl an Verwundeten und Kranken nun viel größer. Vereinbart waren 50 Treibstoff-LKWs täglich; tatsächlich erlaubt wurden 23. Die kommerzielle Einfuhr von Treibstoff wurde überhaupt nicht erlaubt. Vereinbart waren 60.000 „mobile homes“; erlaubt wurden 15. Neun schwere Maschinen zum Wegräumen des Schutts wurden zugelassen; nötig wären mindestens 500. Die Einfuhr von Materialien für den Wiederaufbau und medizinische Ausrüstung wurde beschränkt. Israel erlaubte nicht, ein Kraftwerk in Gaza wieder in Betrieb zu nehmen.
Die nunmehrige erneute Blockade Gazas betrifft Lebensmittel, Wasser, Treibstoff, Medikamente und medizinisches Material. Schon jetzt sind Güter des täglichen Bedarfs auf den lokalen Märkten entweder gar nicht mehr verfügbar oder für die meisten Menschen nicht erschwinglich. Laut WFP (World Food Programme) reichen die Vorräte für Bäckereien und Suppenküchen noch für ca. eine Woche. Die Stadtverwaltung von Rafah meldet, dass Israel die Stromversorgung für die beiden Entsalzungsanlagen der Stadt abgeschaltet haben. Diese können ca. 20.000 Kubikmeter Wasser entsalzen. Das sind ca. 70 Prozent des Wassers in diesem Gebiet.
Die neue Gaza-Blockade führt nicht nur zu Lebensmittel- und Wasserknappheit, sondern auch zu einer Knappheit an Medikamenten und anderen medizinischen Hilfsmitteln. Wegen des Treibstoffmangels droht die Schließung von Krankenhäusern. Das bringt das Leben Tausender Kranker und Verwundeter in Gefahr. Zudem wird die Bergung von geschätzt mehr als 10.000 Toten unter dem Bombenschutt weiter verzögert.
Quellen:
https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/3/4/live-israel-blocking-gaza-food-medicine-is-a-clear-war-crime-hamas (03.40, 05.00, 07.45, 09.30, 10.01, 11.00, 11.30, 12.15)
https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/3/3/live-israel-thanks-us-for-weapons-shipment-as-it-cuts-off-gaza-food-aid (05.30, 05.45, 13.29)
BIP-Newsletter #337 vom 25. Februar 2025.
Arabischer Nachkriegsplan für Gaza
Die arabischen Länder haben sich dem Druck der USA, einer „Umsiedlung“ der Bewohner Gazas zuzustimmen, nicht gebeugt. Ihre Führer haben bei einem Treffen in Kairo einstimmig einen Plan zum Wiederaufbau Gazas ohne Vertreibung der Palästinenser beschlossen. Der Plan sieht für die ersten sechs Monate Aufräumarbeiten und die Errichtung temporärer Unterkünfte vor. In den folgenden beiden Jahren sollen 200.000 dauerhafte Wohneinheiten errichtet werden. In darauf folgenden zweieinhalb Jahren sollen weitere 200.000 Wohneinheiten errichtet werden. Außerdem sollen ein Flughafen und ein Seehafen entstehen.
Die Regierungen Israels und der USA lehnen diesen vernünftigen Plan mit fadenscheinigen Pseudo-Begründungen ab. Sie beharren darauf, die ca. 2 Millionen Palästinenser aus Gaza zu vertreiben.
Quellen:
https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/3/4/live-israel-blocking-gaza-food-medicine-is-a-clear-war-crime-hamas (11.45, 12.30)
Oscar für No Other Land!
Der israelisch-palästinensische Dokumentarfilm No Other Land (siehe meine ausführliche Besprechung in dem Blog-Beitrag vom 5. Februar) hat den Oscar für den besten Dokumentarfilm gewonnen. Congratulations an das palästinensich-israelische Team für diesen großartigen (und völlig verdienten) Erfolg!
Basel Adra und Yuval Abraham konnten zur Preisverleihung nach Los Angeles reisen und die Auszeichnung persönlich entgegennehmen. In seiner Dankesrede sagte Basel Adra, dass er kürzlich Vater geworden sei, und dass er hoffe, dass seine Tochter ein Leben ohne Angst führen könne – ohne Angst vor Siedlergewalt, ohne Angst davor, dass ihr Zuhause zerstört und ihre Familie vertrieben wird. Yuval Abraham plädierte in seiner Dankesrede für eine „politische Lösung ohne ethnischen Suprematismus, mit nationalen Rechten für beide Völker“. Er fügte hinzu, dass die derzeitige amerikanische Außenpolitik den Weg zu einer solchen Lösung blockiere.
Über diese Auszeichnung für einen Film mit wesentlicher israelischer Beteiligung hätte sich eigentlich auch der israelische Kulturminister freuen können. Tat er aber nicht. Wie die Times of Israel berichtet, bezeichnete er den Sieg des Films „als traurigen Moment für die Welt des Kinos“. Der Film verzerre das Bild Israels in der Welt. Das sei „Sabotage des Staates Israel“.
In den USA hat der Film bislang keinen Verleih gefunden. Die Filmemacher haben nun die Verbreitung selbst in die Hand genommen. Fast 100 Kinos haben den Film schon gebucht; und er ist überall ausverkauft.
Die israelische Regierung versucht aktiv zu verhindern, dass der Film No Other Land in Israel gezeigt wird, indem Druck auf Kinos und andere Kulturinstitutionen ausgeübt wird. Die israelisch-palästinensische NGO Standing Together organisiert nun privat Dutzende öffentliche Vorführungen im ganzen Land.
Nur wenige Stunden, bevor No Other Land den Oscar als bester Dokumentarfilm erhielt, wurde erneut ein Dorf in Masafer Yatta von israelischen Siedlern angegriffen. Die Siedler attackierten palästinensische Bewohner/innen, warfen Steine, zerstörten Solarpaneele und beschädigten Wassertanks. Die randalierenden Siedler wurden von Soldaten begleitet. Die Soldaten verhafteten mindestens drei Palästinenser.
Video (für den Link siehe den letzten Eintrag in der Quellenliste unten): Vermummte und mit Knüppeln bewaffnete israelische Siedler, in Begleitung israelischer Soldaten, dringen in ein Dorf in Masafer Yatta ein, zerstören Eigentum der Dorfbewohner und bedrohen diese. Beim Wegrennen nach einer Attacke schreien sie „Ramadan Kareem!“ („Fröhlichen Ramadan!“). Ich habe schon etliche Aufnahmen von Siedler-Überfällen gesehen. Was ich dabei immer als besonders schockierend empfinde, ist die Körpersprache der (meist sehr jungen) Angreifer. Ihre Haltung und ihre Bewegungen drücken aus: „Wir können mit euch machen, was wir wollen.“ Das Furchtbare ist: Sie haben recht. Es gilt für sie kein Gesetz. Sie müssen keine Strafe fürchten. Die anwesenden Soldaten beschützen die randalierenden Siedler. Dennoch suchen die Dorfbewohner das Gespräch mit den Soldaten. Ein junger Mann sagt zu einem Soldaten „This is my home!“. Der Soldat kommt drohend auf ihn zu, drängt ihn gegen einen Zaun und fragt in hämischem Tonfall: „Hää, this is your home, this is your home?“ – Der Mann wiederholt, offenkundig in Angst, aber dennoch bestimmt: „Yes, this is my home!“. Die Dorfbewohner sagen, Siedlerangriffe erfolgen jetzt täglich.
Der israelische Journalist Gideon Levy spricht von einer zunehmenden Verrohung israelischer Soldat/inn/en; und er fährt fort:
„Die Siedler und ihre Unterstützer sind mit großem Eifer mit von der Partie. […] Sie wollen einen umfassenden Krieg im Westjordanland, unter dessen Deckmantel sie ihren großen Plan zur Massenvertreibung umsetzen können. Erschreckenderweise ist dies der einzige Plan, den Israel zur Lösung der Palästinenserfrage hat. Währenddessen vergeht keine Woche, in der nicht ein weiterer nicht autorisierter Siedler-Außenposten auftaucht – eine einzelne Hütte, die von Tausenden gestohlener Dunums umgeben ist, die als ‚Weideplatz‘ beansprucht werden. Es vergeht kein Tag, an dem es nicht schon wieder ein Pogrom gibt. Diese Angriffe funktionieren. Die schwächsten Teile der palästinensischen Gesellschaft im Westjordanland – die Hirten – geben einfach auf. Ganze Gemeinschaften verlassen das Land ihrer Vorfahren und fliehen in Angst vor den Gangstern mit Kippa.“
Quellen:
https://www.theguardian.com/film/2025/mar/03/no-other-land-wins-best-documentary-feature-oscar
https://taz.de/Oscar-fuer-No-Other-Land/!6070162/
https://www.haaretz.com/opinion/2025-02-27/ty-article-opinion/.premium/when-the-third-intifada-breaks-out-dont-forget-that-israel-instigated-it-deliberately/00000195-4324-de32-ad9d-73b71f450000 [Bezahlschranke!] Deutsche Übersetzung von Albrecht Schröter über den BIP-Verteiler am 27. Februar 2025.
Vermischte Nachrichten
Atalla Hannah, Erzbischof der griechisch-orthodoxen Kirche in Jerusalem, kritisiert den US-Staatssekretär Marco Rubio für seine Unterstützung des israelischen Krieges gegen Gaza. Rubio hatte sich am Aschermittwoch mit einem Aschenkreuz auf der Stirn fotografieren lassen. Hannah sagte aus diesem Anlass: “Ein wahrer Christ muss den Unterdrückten beistehen, den Leidenden und Geplagten – nicht den Unterdrückern, die Gewalt und Repression gegen Nationen ausüben.“ Er fügte hinzu: “Diejenigen, die stolz auf das Kreuz sind und offen ihr Christentum bekennen, müssen auch das historische Unrecht anerkennen, das dem palästinensischen Volk angetan wurde, und sie müssen erkennen, dass die Unterdrückung beendet werden muss, damit die Palästinenser die Freiheit und den Frieden erlangen, die ihnen zustehen.“
Quelle:
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Jetzt, zu Beginn des Ramadan, schränkt Israel den Zugang zur Al-Aqsa-Moschee in Ostjerusalem ein. Die Al-Aqsa-Moschee ist eines der wichtigsten Heiligtümer der Muslime. Ostjerusalm ist von Israel widerrechtlich besetzt, ebenso wie das gesamte Westjordanland. Palästinenser/innen aus dem Westjordanland, die die Al-Aqsa-Moschee besuchen wollen, müssen durch eine israelische Militärkontrolle (einen sog. „Checkpoint“). Israel erklärte, nur Männer über 55 Jahre, Frauen über 50 Jahre und Kinder unter 12 Jahre dürften sich am ersten Freitag des Fastenmonats zum traditionellen Gebet in der Al-Aqsa-Moschee begeben.
Quelle:
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Die israelische Armee setzt die Al-Nasr-Moschee in Nablus in Brand und hindert Feuerwehrleute daran, den Brand zu löschen. Die Al-Nasr-Moschee ist eines der bedeutendsten historischen Denkmäler in Nablus. Sie war ursprünglich eine romanische christliche Kirche, bevor sie 1187 in eine Moschee umgewandelt wurde. Auch andere Moscheen in der Altstadt von Nablus wurden von israelischen Soldaten ohne Vorwarnung gestürmt und ihre Ausstattung entweiht.
Quelle:
https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/3/7/gaza-war-live-trump-administration-engages-in-direct-talks-with-hamas (12.30, 14.15)
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Die Hind Rajab Foundation hat in Deutschland Klage gegen den israelischen Soldaten Shay Friedman eingebracht. Friedman soll sich derzeit in Deutschland aufhalten. Zur Last gelegt wird ihm unter anderem Beihilfe zum Mord und andere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Quelle:
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In der Stadt Beit Hanina, in der Nähe von Jerusalem, reißen israelische Bulldozer ein palästinensisches Wohnhaus ab. Allein im vergangenen Februar haben die Israelis 109 bewohnte Häuser im Westjordanland abgerissen.
Quelle:
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