Mehr als zwei Wochen dauert die Blockade Gazas jetzt an. In dieser Zeit wurde keine einzige Hilfslieferung in das Gebiet gelassen: keine Lebensmittel, kein Treibstoff, keine Medikamente.
Vor genau einer Woche, am 9. März, hat Israel außerdem die einzige bestehende Stromleitung nach Gaza abgeschaltet. Das hat massive Auswirkungen auf die Wasserversorgung, weil die Wasserentsalzungsanlagen viel Strom benötigen. Eine Zeit lang arbeiteten manche Anlagen mit Dieselgeneratoren. Doch auch Treibstoff ist knapp. Inzwischen mussten alle Entsalzungsanlagen in Gaza stillgelegt werden, wie eine Sprecherin von Human Rights Watch berichtet. Auch Brunnen funktionieren nur noch teilweise. Ein bisschen Wasser kommt derzeit noch durch zwei von insgesamt drei Leitungen aus Israel. Doch Israel droht, auch diese stillzulegen.
Laut UNICEF haben nur noch 10 Prozent der Einwohner von Gaza Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die Menschen müssen für Wasser oft weite Wege auf sich nehmen und sich lange anstellen, und oft ist dieses Wasser dann nicht einmal trinkbar. Wenn es möglich ist, wird es abgekocht, doch oft fehlt zum Abkochen das Gas, und die Menschen sind gezwungen, verunreinigtes Wasser zu trinken.
In Gaza Stadt sind Straßen mit Abwasser überflutet. Das kommt daher, dass Pumpstationen wegen der Stromabschaltung und des Treibstoffmangels nicht mehr arbeiten können. Das erhöht die Gefahr, dass Krankheiten ausbrechen. Es breiten sich üble Gerüche, Insekten und Nagetiere aus.
Vor Beginn der Blockade gab es in Gaza 22 Bäckereien – ohnehin nicht genug, um den Bedarf an Brot zu decken. Sechs davon mussten inzwischen schließen, weil sie kein Gas mehr für ihre Öfen haben.
Fast jede/r in Gaza hat während des Krieges an Gewicht verloren, im Durchschnitt 18kg pro Person. Laut UNICEF leidet derzeit in Gaza jedes dritte Kind unter zwei Jahren an akuter Unterernährung.
Die durch die jetzige Blockade ausgelöste Nahrungsmittelknappheit führt gelegentlich zu gewalttätigen Konflikten, berichtet ein Arzt.
Inmitten der Ruinen des Kamal-Adwan-Krankenhauses wurde ein „Feldspital“ eingerichtet: ein Zelt. Es gibt keine Krankentransporte. Die Leute müssen oft weite Weg zu Fuß zurücklegen, bis sie das Spital erreichen, und müssen dort noch stundenlang Schlange stehen.
Aufgrund des Mangels an medizinischem Material können in den Krankenhäusern Hygieneregeln nicht mehr eingehalten werden. Das führt zu vermeidbaren Todesfällen. Auch der Vorrat an Medikamenten geht zur Neige.
Bassam al-Hamadine, Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums in Gaza, bittet die internationale Gemeinschaft dringend um mindestens 10 Sauerstoffgeneratoren für die Behandlung von Patienten in Intensivstationen und bei Operationen. Die Geräte seien nötig aufgrund der Zerstörungen der israelischen Armee.
Die Städteunion von Gaza bittet Hilfsorganisationen und die internationale Gemeinschaft um Intervention, damit wieder Hilfsgüter nach Gaza gelangen.
Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mohammad Mustafa, appelliert an die EU, Druck auf Israel auszuüben, damit Israel die Grenzen Gazas öffnet.
Das ägyptische Außenministerium verurteilt Israels „Politik der kollektiven Bestrafung“ der Menschen in Gaza als Bruch des internationalen Rechts und fordert die internationale Gemeinschaft zum Handeln auf.
Die Sprecherin des deutschen Außenministeriums, Kathrin Deschauer, hat Israels Strom- und Hilfsblockade scharf verurteilt. Die Stromabschaltung sei „inakzeptabel und nicht kompatibel mit Israels Verpflichtungen nach internationalem Recht“. Diese Stellungnahme ist richtig und wichtig, aber das allein wird Israel kaum zu einer Änderung seiner Politik bewegen. Dies wäre allenfalls durch wirtschaftliche und politische Sanktionen möglich.
Israel behauptet, die Blockade diene dem Zweck der Befreiung der noch in Gaza befindlichen israelischen Geiseln. Die Hamas solle durch diese Maßnahme zur Freilassung der Israelis gezwungen werden. Doch das glaubt selbst in Israel wohl kaum noch jemand – jedenfalls nicht die Angehörigen der Geiseln, die seit vielen Monaten für eine Einigung mit der Hamas und gegen die Regierung Netanjahu demonstrieren. In Wahrheit gefährdet diese Maßnahme nicht nur das Leben und die Gesundheit der Palästinenser/innen in Gaza, sondern auch das Leben und die Gesundheit der israelischen Gefangenen.
Die Geiseln wären längst frei, wenn sich Israel an die Waffenstillstands-Vereinbarungen gehalten hätte. Die Hamas verlangt dafür von Israel die Bereitschaft für einen dauerhaften Waffenstillstand – einen Waffenstillstand, der diesen Namen auch verdient. Doch Netanjahu will aus persönlichen Gründen den Krieg fortführen (er steht wegen Bestechlichkeits- und Betrugsvorwürfen mit einem Bein im Gefängnis), und seine Regierungspartner wollen der palästinensischen Bevölkerung das Leben in Gaza unmöglich machen und sie so zur „freiwilligen Umsiedlung“ bewegen. Doch selbst wenn vielleicht viele dazu bereit wären: Sie haben keinen Ort, an den sie gehen könnten.
Doch ich möchte diesen Beitrag mit einer positiven Meldung beschließen: Die UNRWA bietet derzeit Präsenzlehre für 35.000 Kinder in Gaza an. Zusätzlich haben sich 250.000 Schüler/innen für das Online-Lernprogramm registriert. Ca. 70 Prozent davon nehmen derzeit an Online-Kursen teil. Bildung ist genauso wichtig wie Brot!
Quellen:
https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/3/9/live-israel-to-send-negotiators-to-doha-hamas-against-temporary-truce (15.46, 16.30)
https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/3/10/live-israel-to-join-doha-talks-after-cutting-off-electricity-to-gaza (11.45, 12.00, 15.15, 15.45)
https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/3/11/live-israel-starving-gaza-as-houthis-threaten-to-resume-red-sea-attacks (10.45, 11.00, 14.30, 14.45, 15.00, 15.15, 16.30)
https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/3/14/live-israel-kills-2-in-gaza-un-decries-genocidal-attacks-on-healthcare (11.55, 12.25, 13.55, 17.35)
Die Scham der Opfer als Mittel des Terrors
Vor wenigen Tagen hat eine unabhängige Untersuchungskommission dem Menschrechtsrat der Vereinten Nationen (Human Rights Council) einen Bericht vorgelegt. Der Titel lautet: „‚Mehr als ein Mensch ertragen kann‘: Israels systematische Anwendung von sexueller, reproduktiver und anderen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt seit 7. Oktober 2023“.
Der Bericht beschreibt zunächst Israels Zerstörung von Gesundheitseinrichtungen im Allgemeinen und für Frauen und Mädchen im Bsonderen und deren katastrophale Auswirkungen insbesondere auf Schwangere und junge Mütter. Darüber hinaus enthält er schockierende Berichte über sexuelle Gewalt, sowohl gegen Frauen und Mädchen als auch gegen Männer und männliche Jugendliche. Der Bericht basiert auf Online-Postings israelischer Soldat/inn/en, Aussagen von Zeugen und Opfern und Auskünften von zivilgesellschaftlichen Organisationen.
Untersucht wurden unter anderem: sexuelle Belästigung und öffentliche Erniedrigung palästinensische Frauen; das Filmen und Fotografieren von Akten sexueller Gewalt gegen Männer und männliche Jugendliche im Arrest; sexuelle Gewalt im Verlauf militärischer Bodenoperationen, auch an Checkpoints und bei „Evakuierungen“; sexuelle Gewalt in Gefängnissen, sowie sexuelle Gewalt durch jüdische Siedler und andere Zivilisten.
Erzwungene Nacktheit ist eine regelmäßig angewandte Methode zur Demütigung palästinensischer Zivilist/inn/en. Zwei Opfer berichten:
„Die Soldaten befahlen uns allen, Männern und Frauen, uns auszuziehen und weiterzugehen, sie befahlen uns, nur nach vorne zu schauen. Ich lief nackt zwischen den Panzern durch, ich trug nicht einmal mehr Unterwäsche. Ein israelischer Soldat spuckte mir ins Gesicht. Ich zwang mich, nicht zu reagieren, da ich wusste, dass sie mir sonst jeden Knochen im Körper brechen würden.“ (S. 24)
„Ich lag auf dem Boden und war völlig nackt. Die Soldaten verlangten, dass ich die israelische Flagge küsse, aber ich weigerte mich, woraufhin sie mich heftig schlugen und auf meine Genitalien traten. Daraufhin musste ich mich übergeben. Ich hatte Schmerzen und meine Hoden waren von den Schlägen geschwollen und voller Blutergüsse. Ich verlor für kurze Zeit das Bewusstsein und wachte wieder auf, nur um festzustellen, dass sie mich immer noch schlugen.“ (S. 26)
Weitere Auszüge aus dem Bericht:
„Ein männlicher Zeuge berichtete der Kommission von sexuellem Missbrauch und Belästigung von Frauen in der Salah al-Din-Straße während der Vertreibung, wo israelische Soldaten die Frauen aufforderten, sich auszuziehen. Der Zeuge sah, wie mehrere seiner weiblichen Verwandten gezwungen wurden, sich zu entkleiden, so dass sie nur noch in Unterwäsche und ohne Kopftuch, um ihre Haare zu bedecken, waren. Er sah auch, wie mehrere Frauen von den Soldaten sexuell belästigt wurden, darunter ein Mädchen im Teenageralter von etwa 17 Jahren. Die Soldaten verhöhnten und verspotteten die Männer, weil sie nicht in der Lage waren, die erzwungene Entkleidung der Frauen zu verhindern. Der Zeuge sah auch die Misshandlung und Festnahme einer schwangeren Frau, bevor sie von Soldaten weggebracht wurde.“ (Absatz 109, S. 25)
„Das Opfer gab an, dass Frauen, Männer, Mädchen und Jungen mit vorgehaltener Waffe an einem behelfsmäßig errichteten Kontrollpunkt gezwungen wurden, sich zu entkleiden, aus ihren Kleidern einen Ball zu formen und ihre Kleidung den israelischen Soldaten zuzuwerfen. Sie wurden aufgefordert, ihre Ausweispapiere in die Luft zu halten und unbekleidet weiterzugehen. Die israelischen Soldaten sagten, dass jede Person, die den Befehlen nicht Folge leistet, erschossen wird. Die Männer waren völlig nackt und die Frauen waren nur mit Unterwäsche bekleidet. Das Opfer wurde von einem Soldaten aufgefordert, zur Seite zu gehen und wurde gezwungen, während eines etwa 30 Minuten dauernden Verhörs durch drei Soldaten nackt zu bleiben. Während des Verhörs wurde er geohrfeigt, ins Gesicht geschlagen und erhielt Todesdrohungen.“ (Absatz 105, S. 24)
„Weibliche Häftlinge berichteten von wiederholten, langen und invasiven Leibesvisitationen, sowohl vor als auch nach Verhören. Eine Frau wurde während ihrer viertägigen Haft alle drei Stunden in ihrer Zelle einer Leibesvisitation unterzogen, wobei die Wachen sie zwangen, sich vollständig zu entkleiden, obwohl sie menstruierte. Die Frauen wurden gezwungen, sich vor männlichen und weiblichen Soldaten vollständig zu entkleiden, einschließlich ihres Kopftuchs. Sie wurden geschlagen und schikaniert, als „hässlich“ bezeichnet und mit sexuellen Beleidigungen wie „Schlampe“ und „Hure“ beschimpft.“ (Absatz 125, S. 28f.)
In israelischen Haftanstalten wird sexuelle Gewalt als Element von Folter eingesetzt:
„Die Kommission dokumentierte Fälle von Vergewaltung und sexuellen Übergriffen auf männliche Häftlinge, einschließlich der Verwendung einer elektrischen Sonde zum Hinzufügen von Verbrennungen am Anus und dem Einfügen von Gegenständen, wie Fingern, Stöcken, Besenstielen und Gemüse in den Anus und den Darm. Ein Opfer, das in Sde Teiman inhaftiert war […] wurde von der Decke abgehängt, so dass seine Zehenspitzen gerade noch einen Stuhl berührten. So wurde er über Stunden mit verschiedenen Werkzeugen geschlagen. Währenddessen wurde wiederholt ein Metallwerkzeug in seinen Penis eingeführt, bis dieser zu bluten begann und er das Bewusstsein verlor. Das Opfer berichtete der Kommission: ‚[…] Ein männlicher Wärter steckte mehrmals einen Metallstab in meinen Penis, insgesamt ungefähr 20 Mal. Ich begann zu bluten. Der Schmerz war qualvoll, aber die Demütigung war schlimmer.“ (Absatz 119, S. 27)
„Die Kommission dokumentierte Fälle von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt gegen männliche und weibliche Häftlinge in mehr als 10 Militärlagern und israelischen Gefängnissen, insbesondere im Negev Gefängnis und im Sde Teiman Lager für männliche Häftlinge und im Damon- und Hasharon-Gefängnis für weibliche Häftlinge. Sexuelle Gewalt wurde eingesetzt als Mittel der Bestrafung und der Einschüchterung, vom Augenblick der Verhaftung an und während der gesamten Haft, einschließlich während Verhören und Durchsuchungen. Die Akte sexueller Gewalt, die die Kommission dokumentierte, scheinen motiviert zu sein durch extremen Hass auf Angehörige des palästinensischen Volkes und das Verlangen, diese zu entmenschlichen und zu bestrafen.“ (Absatz 116, S. 26f.)
Auszug aus den „Schlussfolgerungen“ des Berichts:
„Die Ergebnisse der Kommission lassen ein klares Muster erkennen: Mitglieder der ISF [der israelischen Armee] und Siedler begehen sexuelle und geschlechtsspezifische Verbrechen mit dem Ziel, Angst zu erregen, in der Absicht, dadurch die Unterdrückung der Palästinenser fortzusetzen und die Palästinenser aus ihrem Land zu vertreiben. Die Kommission schlussfolgert daher, dass sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt nicht nur individuelle Palästinenser/innen demütigen, bestrafen und einschüchtern soll, sondern die Zivilbevölkerung als Ganzes, mit dem Ziel, die palästinensische Gemeinschaft zu unterdrücken, zu zerstören und zu vertreiben.“ (Absatz 225, S. 47)
Quellen:
Vollständiger Bericht in englischer Sprache: https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/hrbodies/hrcouncil/sessions-regular/session58/a-hrc-58-crp-6.pdf)
Presseerklärungen in englischer Sprache: https://www.ohchr.org/en/press-releases/2025/03/more-human-can-bear-israels-systematic-use-sexual-reproductive-and-other
Auszugsweise Übersetzungen: Aussendung 17/2025 von Martha Tonsern, Vertretung des Staates Palästina in Österreich.
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