Bild: Gaza, 20. März 2025. Körper palästinensischer Kinder werden zum Indonesischen Krankenhaus in Beit Lahiya gebracht.
Heute ist es auf den Tag genau drei Wochen her, dass Israel eine Totalblockade für Hilfslieferungen über Gaza verhängte. Kurz darauf wurde der Strom abgeschaltet. Seit vergangenen Dienstag, 18. März, wird Gaza wieder bombardiert, nach einer etwa zweimonatigen Unterbrechung.
Erneut begannen auch Zwangsevakuierungen der Bevölkerung. Manche Menschen haben den israelischen Aufrufen Folge geleistet und sind erneut geflohen. Sie leben unter furchtbaren Bedingungen in Zelten. Sie frieren, hungern, haben keine Toiletten und leben in ständiger Furcht vor den Bomben. Sie fühlen sich von der Welt verlassen.
Seit dem 18. März starben durch israelische Angriffe mindestens 634 Menschen in Gaza, davon etwa ein Drittel Kinder; mehr als 1.100 Menschen wurden verletzt. Ziel der Angriffe war auch ein UNRWA-Stützpunkt. Dabei starben fünf UNRWA-Mitarbeiter: Ärzte, Pfleger, Lehrer.
Die israelische Armee zerstörte dasTurkish-Palestinian-Friendship Hospital in Nordgaza, das auf Krebserkrankungen spezialisiert ist – die einzige Einrichtung für Krebspatienten in Gaza. Am selben Tag wurde die Medizinische Fakultät der Islamischen Universität in Gaza City aus der Luft angegriffen.
In jenen Krankenhäusern, die noch in Betrieb sind, ist die Lage katastrophal. Sie werden von Verwundeten geflutet. Es können nicht mehr alle behandelt werden. Ärzte müssen entscheiden, wen sie noch behandeln, und wen sie aufgeben. Die große Mehrheit der Opfer sind Kinder, Frauen und alte Menschen.
Die Hamas feuerte eine Rakete auf Israel ab, die erste seit Beginn des Waffenstillstands Mitte Januar. Es gab keine Toten oder Verletzten.
Es gab weltweit Solidaritätskundgebungen für Gaza, unter anderem in Bogotá (Kolumbien), Santiago (Chile), Jakarta (Indonesien), Bagdad (Irak), Amman (Jordanien), Athen, Amsterdam, und in zahlreichen Städten Österreichs, unter anderem in Wien, Graz, Linz, Salzburg und Innsbruck.
Quellen:
https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/3/20/live-israel-kills-70-in-gaza-netanyahu-warns-of-fierce-war-expanding (12.40, 12.50, 15.35)
https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/3/21/live-israeli-attacks-kill-almost-600-as-troops-invade-south-north-gaza (15.15, 16.30, 18.15, 17.00)
https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/3/22/live-israel-destroys-gazas-specialised-cancer-hospital-attacks-continue (05.30, 10.02, 15.35, 16.55, 17.10)
https://kurier.at/chronik/wien/pro-palaestina-demo-wien/402985519
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Kurzfilm-Empfehlungen
Ich möchte heute zwei außergewöhnliche Kurzdokus vorstellen, die frei im Internet verfügbar sind.
(1) Thirst among the ruins. 2025. 25 Minuten.
Ein auswärtiges Filmteam drehte in Gaza im Jahr 2023, wenige Wochen vor Beginn des Krieges. Die Journalisten wollten über die Wasserversorgung in Gaza berichten. Die war bereits damals schlecht. Dass Wasserhähne über viele Stunden trocken blieben, gehörte zum Alltag der Menschen.
Die Journalisten dokumentierten unter anderem die Arbeit eines Gemüsebauern, eines Mitarbeiters eines Wasserwerks und eines „Wasserlieferanten“ mit einem Tankwagen. Vor dem Krieg gab es in Gaza landwirtschaftliche Flächen für den Gemüseanbau, Obstgärten und Olivenhaine, außerdem eine stolze Fischereiflotte. Dies ermöglichte der Bevölkerung ein gewisses Maß an Selbstversorgung mit frischen Lebensmitteln.
Nun, während des Waffenstillstands von Mitte Januar bis Mitte März, besuchte das Filmteam Gaza erneut. Sie konnten die Menschen, die sie 2023 getroffen hatten, wiederfinden. Doch von den landwirtschaftlichen Flächen ist nur noch tote Erde übrig. Der Fischereihafen und alle Fischerboote wurden zerstört. Die Wasserversorgung hat sich von schlecht zu katastrophal entwickelt. Aber der Mann mit dem Wassertankwagen dreht noch seine Runden. Sein Service ist jetzt wichtiger denn je. Wo er nicht hinkommt, müssen die Menschen oft weite Wege gehen, um mit Kanistern Wasser zu holen. Vielfach wird diese Arbeit von Kindern erledigt. Zwei Liter Wasser pro Tag stehen einem Menschen in Gaza derzeit durchschnittlich zur Verfügung. Oft ist dieses Wasser jedoch verunreinigt, was insbesondere die Gesundheit der Kinder gefährdet.
Die Menschen versuchen irgendwie, sich ein neues Leben zwischen den Ruinen aufzubauen. Ein alter Schuster repariert wieder Schuhe; für seine Nähmaschine braucht er keinen Strom. Ein alter Fischer, der kein Boot mehr hat, wagt sich auf einem primitiven Floß aufs Meer. Alle sind sehr erleichtert über den Waffenstillstand und hoffen auf einen dauerhaften Frieden. Es sind sehr berührende Proträts von starken Menschen, die das Leben und ihre Heimat lieben. Es macht einen Stich ins Herz, wenn man sich vorstellt, wie es ihnen jetzt gerade geht.
https://www.aljazeera.com/program/people-power/2025/3/20/thirst-among-the-ruins
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(2) Inside Westjordanland: Junge Palästinenser im Ausnahmezustand. 2005. 25 Minuten.
Leider wird nicht gesagt, wann die Dreharbeiten stattfanden. Ich vermute, dass es im Herbst/Winter 2024 war – jedenfalls vor Beginn der israelischen Militäroffensive im Januar 2025.
Die junge deutsche Journalistin Sophie von der Tann (Nahost-Korrespondentin der ARD) bereist mit einer palästinensischen Kollegin das Westjordanland.
Es ist nicht leicht, Gesprächspartner zu finden. Viele der jungen Palästinenser haben Angst vor Vergeltungsmaßnahmen der israelischen Armee, wenn sie mit ausländischen Journalisten reden. Doch einige finden sich, die mutig genug sind.
Van der Tann spricht mit jungen Leuten, die klettern gehen, weil ihnen das ein Gefühl der Freiheit gibt, das sie im Alltag nicht haben. Sie spricht mit einem palästinensischen Studenten, der in seinem Dorf als Feuerwehrmann tätig ist. Sie spricht mit einem jungen bewaffneten Kämpfer, der erklärt, das Ziel seines Kampfes sei es, die Juden von palästinensischem Land zu vertreiben. Sie versucht auch mit jungen Siedlern und Soldaten zu sprechen – allerdings mit wenig Erfolg.
Die Kletterer erzählen: Sie hätten früher in ihrer Gegend sechs Kletterwände gehabt, nun hätten sie nur noch zwei. Zu den übrigen vier verwehrt man ihnen jetzt den Zugang, weil sich dort in der Nähe jüdische Siedlungen befinden.
Van der Tann begleitet die jungen Leute auf einem ihrer Kletterausflüge. Plötzlich tauchen Millitärfahrzeuge auf. Einer von den Kletterern geht den Berg hinunter, um mit den Soldaten zu sprechen. Ihm wird gesagt, dass sie hier nicht mehr klettern dürfen. Das Gebiet sei zum militärischen Sperrgebiet erklärt worden. Grund sei, dass sich oben auf dem Berg illegale Siedler aufgehalten hätten, die vom Militär vertrieben worden seien.
Van der Tann und ihre Begleiterin fahren tags darauf auf diesen Berg, um zu sehen, ob die Siedler wirklich weg sind. Das ist nicht der Fall. Einige junge Siedler kommen auf das Auto der Journalistinnen zu, mit Schlagstöcken in den Händen. Sie wollen offensichtlich nicht reden. Die Situation ist brenzlig. Die beiden Frauen wenden das Auto und fahren weg.
Van der Tann und ihre Kollegin übernachten im Haus der Familie des Studenten und Feuerwehrmanns. Die Atmosphäre ist herzlich. Es wird eine Verlobung gefeiert. Das Essen sieht sehr lecker aus. Dann heißt es plötzlich, israelische Militärfahrzeuge seien in der Nähe gesichtet worden. Plötzlich schlägt die festliche Stimmung in Angst um. In dieser Nacht kommt es aber zu keinem Zwischenfall mit dem Militär.
Der Student/Feuerwehrmann sagt, dass die Besatzung Widerstand erzeugt, dass aber Widerstand auch ohne Waffen möglich sei. Für ihn sei es ein Akt des Widerstands, im Land zu bleiben und zu studieren. Er zeigt ihr Videos von Siedlerangriffen: brennende Häuser, brennende Autos.
Die Frau, die ihre Freiheit im Klettern findet, sagt, sie träume davon, dass Israelis und Palästinenser gleichberechtigt miteinander leben könnten. Auf Nachfrage sagt sie, dass sie das nicht für realistisch hält, und dass sie nicht weiß, wie ein realistisches Szenario eines Lebens für sie in diesem Land aussehen könnte.
Den Widerstandskämpfer trifft van der Tann im Flüchtlingslager von Tulkarem. Zerstörung überall. Die Leute sind misstrauisch gegenüber Journalisten, vor allem gegenüber deutschen. Trotzdem gelingt es von der Tann, mit Hilfe ihrer Kollegin, den jungen Rebellenführer vor die Kamera zu bekommen. Er ist nicht einmal maskiert. Auf Nachfrage will er einen erneuten Angriff wie den vom 7. Oktober 2023 nicht ausschließen. Sie interviewt auch Kinder (deren Gesichter unscharf gemacht wurden): Sie sagen, sie wollen Widerstandskämpfer werden.
Einer ihrer Gesprächspartner erwähnt auch, dass kürzlich palästinensische Rebellen drei jüdische Siedler erschossen hätten. Danach gäbe es meist Vergeltungsaktionen.
Nach Beendigung der Dreharbeiten wurde der junge Rebellenführer von einer israelischen Drohne getötet. Es gibt dazu Videoaufnahmen, augenscheinlich von der israelischen Armee.
Der junge Student und Feuerwehrmann wurde verhaftet. Niemand weiß, warum. Die Armee gibt keine Auskunft.
Dieser Film ist bis 10. März 2027 in der ARD-Mediathek verfügbar:
Was sonst noch geschah
Das Folgende ist eine Auswahl an Meldungen aus den vergangenen drei Tagen.
USA: An der Georgetown University wurde ein indischer Student verhaftet, wegen angeblicher Hamas-Propaganda. Er soll ausgewiesen werden.
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USA: Ein Student der Cornell University brachte Klage gegen die Trump-Regierung ein, um die Ausweisungen pro-palästinensischer Studierender zu stoppen. Einige Tage später bekam er in seiner Wohnung Besuch von der Polizei. Er wurde festgenommen und der Einwanderungsbehörde übergeben. Er soll nun ebenfalls abgeschoben werden.
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Israel: Die Armee meldet, man habe binnen 24 Stunden 200 Luftangriffe in Gaza, im Libanon und in Syrien durchgeführt. Vom Libanon aus wurden drei Raketen auf Nordisrael abgefeuert. Die Hisbollah sagt: „Wir waren das nicht.“ Israel reagierte mit Angriffen auf mehr als ein Dutzend Ortschaften und tötete dabei mindestens fünf Menschen, darunter ein Kind. 10 Menschen wurden verletzt.
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Israel: Vor einigen Tagen entließ Premierminister Netanjahu den Chef des Geheimdiensts Shin Bet, Ronen Bar. Dagegen gab es auf den Straßen Israels Proteste. Teils ging die Polizei gewaltsam gegen die Demonstranten vor. Offenbar hatte Bar die Ereignisse vom 7. Oktober 2023 untersucht und war zu dem Ergebnis gekommen, „dass die politische Führung dafür Verantwortung trägt“. Oppositionsparteien hatten gegen den Rausschmiss Bars beim Obersten Gerichtshof geklagt – und jetzt Recht bekommen: Das Gericht entschied, der Premierminister dürfe bis auf Weiteres keinen Nachfolger für Ronen Bar ernennen. Die beiden rechtsextremen Minister Smotrich und Ben-Gvir wollen die Entscheidung des Gerichts nicht respektieren. Sowohl die Regierung als auch die Bevölkerung Israels scheinen in dieser Frage gespalten. Die Demonstranten auf den Straßen fordern auch ein Ende des Krieges in Gaza, um die Geiseln zu retten.
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Israel: Es wurde bekannt, dass in israelischen Gefängnissen den Gefangenen so enge Handfesseln angelegt werden, dass der Blutfluss in die Hände unterbrochen wird. Innerhalb der Gefängniskomplexe werden Lärmbomben eingesetzt.
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Westjordanland, Dschenin: In den Morgenstunden des 20. März kündigte die israelische Armee an, später am Tag 87 Gebäude zerstören zu wollen. In jedem dieser Häuser gab es drei bis sechs Wohnungen. Es ist unklar, ob den Bewohnern noch erlaubt wurde, persönliche Dinge aus ihren Wohnungen zu holen.
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Westjordanland: Die israelische Armee verhaftete 60 Palästinenser/innen, die in einem Bus aus dem Westjordanland auf dem Weg in die Al-Aqsa-Moschee in Ostjerusalem waren. (13.15)
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Die USA bombardierte weitere Ziele im Jemen.
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Quellen:
https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/3/22/live-israel-destroys-gazas-specialised-cancer-hospital-attacks-continue (05.45, 11.30, 18.32, 18.50)
https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/3/21/live-israeli-attacks-kill-almost-600-as-troops-invade-south-north-gaza (14.50, 16.15)
https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/3/20/live-israel-kills-70-in-gaza-netanyahu-warns-of-fierce-war-expanding (11.50, 12.20, 13.15, 14.45, 17.15)
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