„Vernichten, zerschlagen, ausrotten!“

„Vernichten, zerschlagen, ausrotten, auslöschen, zermalmen, zerschmettern, verbrennen, grausam sein, bestrafen, ruinieren, zerquetschen. Auslöschen!“

Das schrieb Itamar Ben-Gvir am 19. Februar 2025 auf X (vormals Twitter).

Itamar Ben-Gvir ist nicht irgendjemand. Er ist Israels Minister für nationale Sicherheit, also insbesondere zuständig für die Polizei, und somit Mitglied der israelischen Regierung. Er hat dieses Amt seit 2022 inne – wenn auch mit einer Unterbrechung zwischen Mitte Januar und Mitte März. Er war einer der lautesten und auch mächtigsten Gegner eines Waffenstillstandes in Gaza. Aus Protest gegen den Waffenstillstand, der dann (auf Druck der USA) Mitte Januar trotz des Widerstands von Ben-Gvir und anderen in Kraft getreten war, legte er sein Ministeramt zurück. Er kündigte jedoch gleichzeitig an, wieder in die Regierung einzutreten, sobald der Krieg in Gaza fortgesetzt würde. So kam es dann auch.

Ben Gvir ist der Chef der rechtsextremen Partei Otzma Yehudit. Diese Partei wird international als extremistisch, ultranationalistisch und rassistisch eingestuft, und vielfach auch als faschistisch bezeichnet, auch von israelischen Wissenschaftler/innen. Der Rassismus richtet sich in erster Linie gegen die Palästinenser. Erklärtes Ziel der Partei ist die Deportation aller „Feinde Israels“.

Otzma Yehudit ist die Nachfolgeorganisation der Kach-Partei. Diese wurde in den 70er-Jahren von dem amerikanischen Rabbi Meir Kahane gegründet. Kahane forderte die Vertreibung der Mehrheit der arabischen Bevölkerung nicht nur aus Israel, sondern auch aus den besetzten arabischen Gebieten. 1994 wurde die Kach-Partei auf der Grundlage eines israelischen Anti-Terrorismus-Gesetzes verboten. Einer ihrer Anhänger, Baruch Kopel Goldstein, ermordete im Jahr 1994 in der palästinensischen Stadt Hebron im Westjordanland 24 Palästinenser. Das Motiv war antipalästinensischer Rassismus. Dies wurde damals in Israel als das gewertet, was es ist, nämlich als Terrorakt.

Die Kach-Partei war sozusagen Ben-Gvirs politische Kinderstube. In Ben-Gvirs Wohnzimmer hing ein Porträt des rassistischen Massenmörders Goldstein an der Wand. Ben-Gvir selbst wurde Dutzender Straftaten angeklagt und etliche Male auch verurteilt, unter anderem wegen Anstiftung zum Rassismus und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.

Ben-Gvirs Partei hat zwar nur wenige Sitze in der Knesset (dem israelischen Parlament), doch Premierminister Netanjahu ist auf deren Unterstützung angewiesen, und darum kann er die Regierungslinie bestimmen. Doch ohnehin gibt es in der Knesset derzeit kaum eine echte Opposition gegen Ben-Gvirs Kurs. Man kann also mit Fug und Recht sagen, dass die israelische Regierung rechtsextrem ist.

Zum Thema „Rechtsextremismus in Israel“ eine Fernsehdoku-Empfehlung: „Israel: Extremisten an der Macht“. (Noch verfügbar bis 21. April 2025)

https://www.arte.tv/de/videos/115065-000-A/israel-extremisten-an-der-macht/

Quellen:

Aussendung 20/2025 von Martha Tonsern, Vertretung des Staates Palästina in Österreich.

https://en.wikipedia.org/wiki/Itamar_Ben-Gvir

https://en.wikipedia.org/wiki/Otzma_Yehudit

https://en.wikipedia.org/wiki/Kach

https://en.wikipedia.org/wiki/Baruch_Goldstein

Genozid

„Genozid“ (zu deutsch: Völkermord) ist ein Begriff aus dem Völkerstrafrecht. 1948 beschloss die UNO-Generalversammlung die „Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“. Darin ist Völkermord definiert als „eine der folgenden Handlungen, begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: a) das Töten eines Angehörigen der Gruppe b) das Zufügen von schweren körperlichen oder seelischen Schäden bei Angehörigen der Gruppe c) die absichtliche Unterwerfung unter Lebensbedingungen, die auf die völlige oder teilweise physische Zerstörung der Gruppe abzielen […].“

Schon bald nach dem Ausbruch des Krieges im Oktober 2023 wurden Stimmen laut, die vor der Gefahr eines Genozids in Gaza warnten. Je länger der Krieg andauerte, desto mehr Fachleute kamen zu der Überzeugung, dass in Gaza bereits ein Genozid im Gange ist, unter anderem der Genozid-Forscher Omer Bartov, die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese, die NGOs Human Rights Watch und Amnesty International.

Im Dezember 2023 brachte Südafrika Klage wegen Völkermords in Gaza beim Internationalen Gerichtshof (IGH) ein. Das Gericht urteilte im Januar 2024, dass Südafrikas Vorwürfe „plausibel“ seien und verpflichtete Israel zu einer Reihe von Maßnahmen, unter anderem: „Handlungen zu vermeiden, die in den Anwendungsbereich der Völkermordkonvention fallen“; „Anstiftung zum Völkermord zu verhindern und zu bestrafen“; „Effektive Maßnahmen zur Gewährung humanitärer Hilfe zu ergreifen“. Nichts davon wurde umgesetzt. Im Gegenteil: Die Gewalt und der Terror haben an Intensität seither noch zugenommen.

Israel ignorierte nicht nur den Spruch des Internationalen Gerichtshofs, sondern empörte sich darüber. Ofer Cassif, Mitglied der Knesset, wurde für mehrere Monate als Abgeordneter „suspendiert“, weil er Israels Vorgehen in Gaza als Genozid bezeichnet und die Klage Südafrikas vor dem IGH als gerechtfertigt verteidigt hat.

Der amerikanisch-jüdische Philosoph Michael Walzer äußerte sich im ZeitMagazin vom 18. April 2024 wie folgt: Es sei nicht in Ordnung, was die israelische Regierung in Gaza anrichtet, weil sie zu wenig tue, um die dortige Zivilbevölkerung zu schützen und deren humanitäre Grundversorgung zu sichern. Aber das Ziel sei ausschließlich die legitime Selbstverteidigung gegen die Hamas. Er bestritt kategorisch, dass die israelische Regierung die Absicht habe, der Zivilbevölkerung in Gaza irgendeinen Schaden zuzufügen.

Dies war bereits im April 2024 entweder eine schamlose Lüge oder ein extremer Fall von Realitätsverweigerung.

In den Chor der Empörung (nicht über die Taten Israels, sondern über die Bezeichnung „Genozid“) stimmten weltweit die Verbündeten Israels ein, namentlich in Deutschland und Österreich. Österreichs Außenminister Schallenberg warf Amnesty International eine „Vorverurteilung“ Israels vor. Es sei schließlich Sache des Gerichts, über den Völkermordvorwurf zu befinden. Amnesty erwiderte darauf, dass die internationale Gemeinschaft bereits bei der Gefahr eines Völkermords verpflichtet sei, einzugreifen.

In Deutschland müssen Menschen, die Israel des Genozids bezichtigen, mit Repressionen rechnen:

Der britisch-palästinensische Arzt Dr. Ghassan Abu-Sittah, der einen der schlimmsten Angriffe auf ein Krankenhaus in Gaza miterlebte, sollte im April 2024 auf einer Palästina-Konferenz in Berlin sprechen. Am Flughafen Berlin wurde ihm die Einreise verweigert. Die Konferenz selbst wurde zwei Stunden nach Beginn von der Polizei aufgelöst.

Die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese war im Februar 2025 an der Universität München und an der Freien Universität Berlin zu einem Vortrag eingeladen. Beide Vorträge wurden kurzfristig abgesagt – auf massiven Druck von proisraelischen Lobbyisten.

Anfang März 2025 wurde die Juristin Melanie Schweizer, Mitarbeiterin eines deutschen Bundesministeriums, aus dem Beamtendienstverhältnis entlassen. Sie hatte von „Israels Genozid in Palästina“ gesprochen.

Der Genozid-Vorwurf lässt die Wogen besonders hochgehen, denn Genozid gilt als das schlimmste aller Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zugleich ist Genozid häufig schwer nachzuweisen. Denn es geht nicht nur um die Handlungen (Töten, Zufügen von Schäden, lebensfeindliche Bedingungen erzeugen), sondern um die Absicht, dadurch eine bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören.

Die genozidalen Handlungen Israels können wir seit fast eineinhalb Jahren Tag für Tag verfolgen:

  • Töten von Angehörigen der Gruppe: Mehr als 50.000 direkte Opfer in Gaza – erschossen, verbrannt, von Bomben zerfetzt, unter Trümmern begraben.
  • Zufügen von schweren körperlichen oder seelischen Schäden: Tausende Menschen (darunter viele Kinder) haben Arme oder Beine verloren. Jedes Kind in Gaza ist traumatisiert. Vor allem kleine Kinder werden durch langdauernde Unterernährung in ihrer Entwicklung beeinträchtigt. Das Leben in überfüllten Lagern unter unhygienischen Bedingungen und mangelnder medizinischer Versorgung begünstigt die Ausbreitung von Krankheiten.
  • Absichtliche Unterwerfung unter Lebensbedingungen, die auf die völlige oder teilweise physische Zerstörung der Gruppe abzielen: absichtliche Zerstörung von Wasserresourcen und Wasseraufbereitungsanlagen, absichtliche Zerstörung medizinischer Infrastruktur, Blockade von Hilfslieferungen, Abschalten der Stromversorgung, Zerstörung landwirtschaftlicher Anlagen und Nutzflächen, absichtliche Angriffe auf humanitäre Organisationen und Rettungsfahrzeuge, Verweigerung der Ausreise zum Zweck dringend nötiger medizinischer Behandlung im Ausland; Zerstörung von Wohnraum.

Was die genozidale Absicht betrifft, so ist Ben-Gvir nicht der einzige, der Klartext spricht. Hier noch eine kleine Auswahl an einschlägigen Äußerungen:


„Es ist jetzt klar, dass alle Bewohner Gazas vernichtet werden müssen.“ (Moshe Saada, Mitglied der Knesset, am 2. Jänner 2024)


„Der Gazastreifen sollte zerstört werden, und es sollte für jeden dort eine Strafe geben – den Tod. Wir müssen den Gaza-Streifen von der Landkarte tilgen. Es gibt dort keine Unschuldigen.“ (Yitzhak Kroizer, Mitglied der Knesset, am 5. November 2024)


„Es gibt keine Unschuldigen in Gaza, es gibt 2,5 Millionen Terroristen“ „Man muss den Gazastreifen mit höchster Brutalität betreten, mit dem Ziel der Rache, null Moral, möglichst viele Leichen“. (Eliyahu Yossian, ehem. Militär-Geheimdienstoffizier in Interviews am 29. und 30. Oktober 2023)

Kann man es noch klarer sagen?

Warum es uns etwas angeht

Was ich oft höre: „Ja, das ist alles ganz furchtbar, aber es gibt ja so viel Elend auf der Welt, und man kann sich nicht um alles kümmern.“

Ich sage: Ja, das stimmt schon. Doch das, was in Gaza (und jetzt auch im Westjordanland) geschieht, ist nicht irgendein Elend, sondern es ist, erstens, ein Verbrechen, und, zweitens, ein Verbrechen, für das wir mitverantwortlich sind. Wir tragen dafür Verantwortung, weil wir (die Büger/innen Deutschlands und Österreichs) die Politiker gewählt haben, die es geschehen lassen – und es sogar noch unterstützen.

Gegen den israelischen Premierminister Netanjahu liegt ein internationaler Haftbefehl des internationalen Strafgerichtshofs vor. Alle Länder, die den internationalen Strafgerichtshof anerkannt haben (wie Deutschland und Österreich), sind verpflichtet, Haftbefehle dieses Gerichtshofs zu vollziehen. Das heißt, sobald Netanjahu deutschen Boden betrifft, müsste er umgehend von deutschen Behörden verhaftet werden. Der deutsche Bundeskanzler in spe, Friedrich Merz, erklärte im Februar 2025 offen, er werde dafür sorgen, dass Netanjahu Deutschland besuchen könne, ohne verhaftet zu werden. Das bedeutet, dass der mächtigste Politiker Deutschlands die Kooperation mit dem Internationalen Gerichtshof verweigert. Damit sendet er an den Rest der Welt ein fatales Signal aus, nämlich: Das internationale Recht gilt für uns und unsere Verbündeten nicht. Damit wird die Institution des internationalen Rechts untergraben. Wenn Recht nicht mehr für alle gilt, hört es auf zu gelten. Dann gilt nur noch das Recht des Stärkeren.

Das betrifft uns alle. Die Institutionen des internationalen Rechts wurden gegründet, um Gräueltaten wie die der deutschen Nationalsozialisten zu verhindern. Sie sollten eine friedliche Lösung von Konflikten ermöglichen und der Barbarei einen Riegel vorschieben, den Kreislauf der Gewalt in einer möglichst frühen Phase stoppen.

Ich hatte vor einigen Tagen die Gelegenheit, via Zoom den Bericht einer jungen Frau aus Tulkarem im Westjordanland zu hören: Zainahel Haroum von der palästinenischen NGO Al-Haq (https://www.alhaq.org/) In der Diskussion wurde sie gefragt, ob sie denn eine Lösung sehe. Sie antwortete: „Es ist ganz einfach. Es geht um Rechenschaft.“ Israel verletzt seit Jahrzehnten internationales Recht – nicht erst seit dem 7. Oktober 2023; und niemand hat Israel jemals zur Rechenschaft gezogen. Israel kann vernichten, zerschlagen, ausrotten …, weil wir es zulassen.

Deutschland nimmt Milliarden an Schulden auf, um Waffen an die Ukraine zu schicken – damit die Menschen dort ihre Freiheit verteidigen können (obwohl manche Ukrainer ihre Freiheit gar nicht mehr freiwillig mit der Waffe verteidigen). Niemand verlangt von Deutschland, den Palästinsern Waffen zu schenken, damit sie ihre Freiheit verteidigen können. Die Palästinenser wären zufrieden, wenn Deutschland nur seine diplomatischen, wirtschaftlichen und juristischen Mittel ausschöpfen würde, um zunächst den Genozid und dann das Unrecht der Besatzung zu beenden.

Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6lkermord

https://forensic-architecture.org/investigation/when-it-stopped-being-a-war

https://oe1.orf.at/player/20250124/782658/1737731113876 (Radio-Interview mit Francesca Albanese)

https://taz.de/Genozidforscher-ueber-Gaza/!5984116/ (Interview mit dem Genozid-Forscher Omer Bartov)

https://euromedmonitor.org/en/article/6494/New-report..-De-Gaza:-A-Year-of-Israel%E2%80%99s-Genocide-and-the-Collapse-of-World-Order

https://brf.be/national/1928938

http://www.hrw.org/sites/default/files/media_2024/12/gaza1224web.pdf

https://www.amnesty.de/israel-gaza-genozid-voelkermord-amnesty-bericht-informationen-hintergruende

https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCdafrika_gegen_Israel_(V%C3%B6lkermordkonvention)

https://taz.de/UN-Berichterstatterin-Francesca-Albanese/!6069186/

https://forward.com/opinion/680794/amnesty-international-genocide-report/

http://www.ecchr.eu/fileadmin/Q_As/ECCHR_Q_A_Genozid_in_Gaza_20241210.pdf

http://www.ecchr.eu/fileadmin/Q_As/ECCHR-Vorwort_Wolfgang_Kaleck_Genozid_in_Gaza_DE_20241210.pdf

https://www.amnesty.at/news-events/news/genozid-in-gaza-aussenminister-schallenberg-sollte-sich-an-praeventivauftrag-der-voelkermordkonvention-erinnern/

https://www.jungewelt.de/artikel/495226.pal%C3%A4stina-solidarit%C3%A4t-arbeitsministerium-feuert-juristin.html

senderfreiespalaestina.de/pdfs/die-sprache-des-voelkermords-zitate-israelischer-politiker-und-militaers.pdf

palestinechronicle.com/all-gazans-need-to-be-destroyed-israeli-official-video/


https://twitter.com/OnlinePalEng/status/174292832412783435

theguardian.com/world/2024/jan/03/israeli-public-figures-accuse-judiciary-of-ignoring-incitement-to-genocide-in-gaza


haaretz.com/opinion/editorial/2023-11-06/ty-article/.premium/fire-israels-far-right/0000018b-a11c-dc0b-a1cb-
e5de69890000?lts=1704379159182

twitter.com/ytirawi/status/1718967689283072229?s=20

https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bundesrepublik-netanjahu-festnahme-104.html

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/friedrich-merz-einladung-benjamin-netanjahu-trotz-haftbefehls-des-istgh


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