Tod statt Brot

Bild: Ein Palästinenser mit einem kleinen Kind an der Hand greift nach einem Brot, das von einem israelischen Panzergeschütz dargereicht wird. Eine Karikatur des jemenitischen Cartoonisten Kamal Sharaf. Quelle: https://www.cartoonmovement.com/cartoon/gaza-167?cartoonist=/cartoonist/26853

Vor knapp einer Woche, am 27. Mai, nahm die sogenannte Gaza Humanitarian Foundation (GHF) in Gaza ihre Arbeit auf. Ich berichtete darüber in meinem letzten Blog-Beitrag vom 28. Mai („Hilfe als Waffe“). Offiziell ist die Aufgabe der GHF, Lebensmittel an die hungernde Bevölkerung Gazas zu verteilen. Kritiker (darunter jene Hilfsorganisationen, die bisher in Gaza Hilfe geleistet hatten) äußerten jedoch von Anfang an die Befürchtung, dass die GHF in erster Linie Israels militärischen Zielen diene und nicht der Linderung von Not. Nach einer Woche Tätigkeit hat die GHF diese Befürchtungen nicht zerstreut – ganz im Gegenteil.

Bereits am ersten Tag (als erst eines der ingesamt vier geplanten Verteilzentren in Betrieb war) kam es zu Chaos und Gewalt. Es wurde mit scharfer Munition auf die Menschen geschossen. Bilanz: Drei Tote und Dutzende Verletzte. Die meisten Verletzungen stammten von Gewehrschüssen. Sowohl die GHF als auch die israelische Armee bestritten, auf Menschen geschossen zu haben.

Am zweiten Tag (am 28. Mai) wurde ein zweites Verteilzentrum eröffnet. Die GHF meldete, dass zwischendurch die Verteilung eingestellt worden sei, „aufgrund von Unordnung“. Am selben Tag meldeten die Behörden in Gaza, dass sechs Menschen auf dem Weg zu einem Hilfsgüter-Verteilungszentrum westlich von Rafah von der israelischen Armee erschossen wurden. Es wurden die Namen der sechs Männer veröffentlicht.

Am dritten Tag (am 29. Mai) ging die Verteilung weiter. Für diesen Tag fand ich keine Berichte über gewaltsame Zwischenfälle. Jedoch berichteten Palästinenser/innen, dass alte Leute und Frauen kaum eine Chance haben, in dem Gedränge an die Reihe zu kommen. Außerdem könnten nur junge Männer die schweren Schachteln tragen. Die Art und Weise der Verteilung wird als erniedrigend empfunden.

Am selben Tag wurde ein weiteres Verteilzentrum eröffnet, und zwar erstmals nicht im Süden, sondern in der Mitte des Gaza-Streifens, südlich des sogenannten „Netzarim-Korridors“. Zahlreiche Menschen strömten dorthin. Der Journalist Hani Mahmoud berichtete, dass die Menschen dort von israelischen Panzern und anderen bewaffneten Fahrzeugen eingekesselt worden wären. Es werde ständig geschossen. Sie hätten Notrufe an das Rote Kreuz abgesetzt, damit sie herausgeholt werden. Auf eigene Faust loszugehen, wäre sehr gefährlich.

Hani Mahmoud berichtet außerdem, dass mehr als die Hälfte der Menschen, die sich zu den Verteilzentren begeben, mit leeren Händen nach Hause kommen. Ein 25jähriger Mann berichtet, er sei seit Dienstag täglich zu dem Verteilzentrum nach Rafah gegangen (also insgesamt drei Mal), aber nur einmal hätte er ein Paket ergattert. Dieses enthielt ca. 3kg Mehl, Nudeln, Ölsardinen, Salz, Marmelade und Kekse. In den Norden ist noch überhaupt keine Hilfe gelangt.

Am selben Tag wurde gemeldet, dass am Grenzübergang Kerem Shalom (im Dreiländereck Gaza/Israel/Ägypten) 600 LKWs mit Hilfsgütern der UNO bereitstehen – und zwar bereits in Gaza. Sie stünden dort nun bereits seit drei Tagen, sagt UN-Sprecher Dujarric. Die israelische Behörde COGAT lässt es nicht zu, dass diese Güter ins Innere der Enklave transportiert werden.

Am selben Tag wollten einige Polizisten an einer Kreuzung in Gaza-Stadt eine Gruppe von Plünderern stellen. Dabei wurden sie von einem israelischen Kampfflugzeug angegriffen. Sechs Polizisten und drei unbeteiligte Personen starben bei dem Angriff.

Tag 4 (30. Mai): Inzwischen gibt es drei Verteilzentren der GHF. Doch an diesem Tag werden keine Lebensmittel verteilt. Dafür schießt die israelische Armee in die Menge der Hungrigen. Panzer und andere bewaffnete Fahrzeuge der israelischen Armee stehen nur wenige Meter von den Verteilzentren entfernt. Die Menschen werden von Quadcoptern (Drohnen) gejagt. Mindestens 20 werden verwundet. Zugleich häufen sich die Berichte, dass Menschen (darunter auch Kinder) von den Verteilzentren nicht mehr zurückgekehrt sind. Keiner weiß, wo sie geblieben sind. Sie sind verschwunden, werden vermisst.

Am selben Tag wird gemeldet, dass israelische Siedler am Grenzübergang Kerem Shalom LKWs mit Hilfsgütern blockieren.

Tag 6 (1. Juni): Inzwischen gibt es vier Verteilzentren in ganz Gaza, drei davon im Süden, in Rafah. Bei einem dieser drei Zentren im Süden starben mindestens 30 Menschen durch israelischen Beschuss. Mehr als 100 wurden verletzt.

Die israelische Armee hatte das Feuer auf die Menge eröffnet, die sich dem Verteilzentrum näherte. Zuvor hatten israelische Quadcopter die Menschen in Khan Younis und al-Malwasi aufgefordert, zu diesem Verteilzentrum zu gehen. Es wurde gesagt, dass dort Lebensmittel verteilt werden würden. Die GHF und das israelische Militär bestreiten diese Darstellung. Sie sagen, israelische Soldaten hätten nur „Warnschüsse“ abgegeben. Berichte über Todesopfer und Verwundete seien falsch und von der Hamas in die Welt gesetzt.

Ein ausländischer Chirurg aus dem Nasser-Krankenhaus berichtet, das Krankenhaus sei mit Verwundeten geflutet worden. Alle Patienten, die er gesehen habe, hätten eindeutig Schussverletzungen erlitten. Etliche wären in kritischem Zustand.

Berichte von Journalist/inn/en vor Ort stützen sich auf zahlreiche Zeugenaussagen. Die Zeugen sagen, es wäre aus allen Richtungen geschossen worden: vom Meer her (von Kriegsschiffen), aus Panzern und aus Drohnen. Der palästinensische Rote Halbmond berichtet, man habe 23 Tote und 23 Verletzte von dem Verteilzentrum abtransportiert. Fotos zeigen Leichen, die auf Eselskarren abtransportiert werden.

Ein weiteres Todesopfer und etliche Verwundete werden auch von dem Verteilzentrum südlich des Netzarim-Korridors gemeldet. Auch dort habe die israelische Armee das Feuer auf die Menschen eröffnet, die gekommen waren, um Lebensmittel zu holen.

UNRWA-Chef Philippe Lazzarini nannte die Lebensmittel-Verteilung der GHF eine „Todesfalle“.

Quellen:

https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/5/28/live-israel-bombs-gaza-journalists-home-killing-at-least-eight (12.36, 13.45, 14.28)

https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/5/29/live-israel-bombs-gaza-kindergarten-sheltering-displaced-people-killing-7 (13.50, 16.45, 8.30, 18.45)

https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/5/30/live-israel-forces-new-displacement-in-north-gaza-as-strikes-intensify (13.00, 15.20)

https://www.aljazeera.com/news/2025/6/1/israel-kills-32-palestinians-waiting-for-food-at-us-backed-gaza-aid-sites

https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/6/1/live-israel-pounds-gaza-hamas-seeks-changes-to-us-ceasefire-proposal (13.35, 14.25, 14.45)

https://www.morgenpost.de/politik/article409160734/gaza-kam-es-bei-der-essensverteilung-zu-toedlichem-zwischenfall.html

https://www.cbsnews.com/news/israel-hamas-gaza-aid-attack-ceasefire-truce/

https://www.cbc.ca/news/gaza-aid-palestinians-killed-1.7549283

https://www.theguardian.com/world/2025/jun/01/palestinians-gunned-down-while-trying-to-reach-food-aid-site-in-gaza-hospital-says

Marsch der Flaggen

Der 26. Mai ist für jüdische Israels ein Feiertag. Man begeht den sogenannten „Jerusalemtag“. Gefeiert wird – aus israelischer Perspektive – die „Wiedervereinigung“ von West- und Ostjerusalem im Jahr 1967. Nach internationalem Recht ist diese „Wiedervereinigung“ nichts anderes als die illegale israelische Besetzung Ostjerusalems.

An diesem Tag ziehen traditionell Tausende rechtsradikaler Israelis, hauptsächlich Jugendliche, mit israelischen Flaggen durch das muslimische Stadtviertel von Ostjerusalem. Sie skandieren rassistische Parolen wie „Tod den Arabern“, „Möge dein Dorf brennen“ und „Die Seele der Juden ist rein, die Seele der Araber ist widerwärtig“. Sie nennen es „Marsch der Flaggen“. Diese Märsche sind eine Provokation. Sie dienen der Machtdemonstration und der Einschüchterung der palästinensischen Bevölkerung. Dabei kommt es regelmäßig zu Übergriffen gegen die palästinensische Bevölkerung und ihr Eigentum. Die meisten palästinensischen Ladeninhaber schließen an diesem Tag ihre Geschäfte aus Angst vor Vandalismus, Plünderungen und Angriffen auf ihre körperliche Unversehrtheit. Die anwesende israelische Polizei tut wenig zu ihrem Schutz.

In diesem Jahr zogen schon vor dem Beginn des eigentlichen Marsches kleinere Gruppen ultranationalistischer jüdischer Männer durch das Viertel und belästigten Ladeninhaber und Palästinenser/innen auf der Straße. Frauen wurden umzingelt, beschimpft, bespuckt, gestoßen. Ein älterer Mann wurde niedergeschlagen. In einem Straßencafé nahmen sich die Siedler Getränke, ohne zu bezahlen. Sie drangen außerdem in mindestens eine Privatwohnung mit Gewalt ein.

Aktivisten der israelischen NGO Standing Together versuchten, während des diesjährigen Flaggenmarschs Palästinenser/innen vor der Gewalt der Siedler zu schützen. In einem kurzen Video sieht man eine Szene, in der ein Palästinenser mit den Siedlern aneinandergerät und ein Mann mit der Warnweste der israelischen Aktivisten dazwischengeht. Sie versuchten auch, die Aggression gegen die Palästinenser mit Handyvideos zu dokumentieren. Sie werden ebenfalls Opfer von Angriffen, genauso wie auswärtige Journalisten.

Die Aktivisten von Standing Together wurden im Laufe des Nachmittags von der israelischen Polizei vom Ort des Geschehens verwiesen. Es wurde ihnen vorgeworfen, dass einer von ihnen einen Polizisten angegriffen habe. Außerdem hieß es, die Polizei sei nicht in der Lage, sie vor Angriffen der Siedler zu schützen.

Quellen:

https://x.com/omdimbeyachad/status/1926982176836329879?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1926982176836329879%7Ctwgr%5Ef6746e0c39e1654272a5a04bfac1cf78eb9f23a3%7Ctwcon%5Es1_&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.aljazeera.com%2Fnews%2Fliveblog%2F2025%2F5%2F26%2Flive-israel-kills-red-cross-workers-children-controls-77-percent-of-gaza

https://en.wikipedia.org/wiki/Jerusalem_Day_march

https://www.theguardian.com/world/2025/may/26/thousands-join-israeli-flag-march-through-muslim-quarter-of-old-city-in-jerusalem

https://www.abc.net.au/news/2025-05-27/israelis-march-on-jerusalem-day-dance-of-the-flags/105340498

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Splitter aus aller Welt

München, 31. Mai: Fans des Fußballclubs Paris Saint-Germain (PSG) entrollten während des Champions-League-Finalspiels gegen Inter Mailand ein Banner mit der Aufschrift „STOP GENOCIDE A GAZA“. PSG gewann das Spiel mit 5:0.

Quelle: https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/5/31/live-israel-kills-2-gaza-aid-seekers-as-un-warns-of-catastrophic (22.30)

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Italien: Die italienische Region Emilia-Romagna hat offiziell alle institutionellen Verbindungen mit Israel für beendet erklärt. Der Präsident der Region, Michele de Pascale, forderte seine Behörden auf, Beziehungen mit allen Entitäten zu suspendieren, die eine Verbindung zur israelischen Regierung haben, „sofern sie nicht offen und erklärtermaßen motiviert sind … dem andauernden Massaker ein Ende zu setzen, so lange bis Respekt für das internationale Recht wiederhergestellt ist“.

Quelle: https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/6/1/live-israel-pounds-gaza-hamas-seeks-changes-to-us-ceasefire-proposal (14.55)

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Frankreich/Israel: Frankreichs Präsident Macron droht mit Sanktionen gegen israelische Siedler. Der israelische Außenminister reagiert heftig: Macron führe einen „Kreuzzug“ gegen Israel. Außerdem bestreitet der Minister, dass es jemals eine humanitäre Blockade von Gaza gegeben habe. Das sei eine „krasse Lüge“, sagte er.

Quelle: https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/5/30/live-israel-forces-new-displacement-in-north-gaza-as-strikes-intensify (15.00, 16.00)

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Großbritannien: 300 britische Künstler und Intellektuelle forderten in einem offenen Brief den Premierminister Keir Starmer auf, die „Komplizenschaft“ mit Israel zu beenden. Sie verlangen die sofortige Aussetzung von Waffenlieferungen an Israel.

Quellen:

https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/5/29/live-israel-bombs-gaza-kindergarten-sheltering-displaced-people-killing-7 (13.30)

Our open letter to Keir Starmer

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Libanon: In einer Stadt im Süden wurde ein Mann durch einen israelischen Angriff getötet. Die israelische Armee behauptet, es wäre ein Hisbollah-Mitglied gewesen. Der Bürgermeister des Ortes widerspricht: Es habe sich um einen Mitarbeiter der städtischen Wasserwerke gehandelt, der an einem Brunnen gearbeitet hatte.

Quelle: https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/5/29/live-israel-bombs-gaza-kindergarten-sheltering-displaced-people-killing-7 (16.15)

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USA: Direkt vor dem Campus der Harvard University halten Aktivisten eine stille Mahnwache für das Ende des Krieges in Gaza ab, während am Campus selbst Abschlussfeiern stattfinden.

Quelle: https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/5/29/live-israel-bombs-gaza-kindergarten-sheltering-displaced-people-killing-7 (17.45)

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Dakar, Senegal, 27. Mai: Studenten der Cheikh Anta Diop University in Dakar jagten den israelischen Botschafter des Senegal, Yuval Waks, aus der Uni. Dieser hatte die Teilnahme an einem Seminar geplant. Die Studierenden organisierten einen Protest, als der Botschafter den Saal betrat. Sie skandierten Slogans gegen seine Anwesenheit und hissten eine palästinensische Flagge vor ihm. In einem Video ist zu sehen, wie der Botschafter die Universität verlässt und in einem bereitstehenden Wagen davonfährt, während Studierende „Free Palestine“ und „Free Gaza“ skandieren und palästinensische Fahnen schwenken.

Quellen:

https://www.saba.ye/en/news3489897.htm

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Belgien: Der belgische Außenminister fordert Sanktionen gegen Israel.

Quelle: https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/5/27/live-israel-kills-89-in-gaza-as-different-messages-emerge-on-truce-talks (18.45)

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Irland: Die irische Regierung diskutiert ein Gesetz, das den Import von Produkten aus den illegalen Siedlungen in der West Bank unter Strafe stellen soll.

Quelle: https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/5/27/live-israel-kills-89-in-gaza-as-different-messages-emerge-on-truce-talks (13.00)

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