Dies ist eine Zeit des Widerstands, verkörpert in kostspieliger Standhaftigkeit auf unserem Land. Diese Standhaftigkeit manifestiert sich im Angesicht jedes Versuchs der Vertreibung, der Annexion und des Genozids. Der Widerstand lebt in unserer Einheit, unserem Zusammenhalt, unserem Festhalten an unserem Glauben, nationalen Prinzipien und allen unseren Rechten. An Glaube und Hoffnung festzuhalten, ist Widerstand. Zu beten ist Widerstand. Die heiligen Stätten zu schützen, ist Widerstand. Den sozialen Frieden zu bewahren, ist Widerstand.
(Aus Kairos Palestine, „Ein Moment der Wahrheit: Glaube in Zeiten des Genozids“, 14. 11. 2025, § 2.3)
Die Palästinenser/innen leisten seit Jahrzehnten Widerstand gegen die immer brutaler werdende israelische Besatzung, gegen Landraub und Vertreibung. Eine Minderheit von ihnen hat sich dem bewaffneten Widerstand angeschlossen (was völkerrechtlich legitim ist), und manche bedienen sich terroristischer Methoden (was völkerrechtlich nicht legitim ist).
Der Wunsch, das Joch der israelischen Besatzung abzuschütteln, eint das palästinensische Volk. Dieser Wunsch wird – wie nicht anders zu erwarten – von der überwältigenden Mehrheit der Palästinenser/innen geteilt, unabhängig von Religion, Weltanschauung und politischer Ausrichtung, egal ob in Gaza, im Westjordanland, im besetzten Ostjerusalem, in Israel oder in der Diaspora.
Doch nicht nur der Wunsch, die Besatzung möge beendet werden, eint die Palästinenser/innen, sondern auch ein fester und starker Wille zum Widerstand.
Es wäre aber völlig unangemessen, den palästinensischen Widerstand allein auf den bewaffneten Widerstand zu reduzieren. Palästinensischer Widerstand ist viel mehr als das. Das Eingangszitat stammt aus einem neuen Dokument der palästinensisch-christlichen Initiative Kairos Palestine. Es kann vollständig und in mehreren Sprachen (u. a. auf Deutsch und Englisch) hier heruntergeladen werden.
In diesem Dokument sprechen die palästinensischen Christen von ihrem Konzept des kreativen Widerstandes. Ich zitiere im Folgenden noch einige Passagen daraus. (Der Fettdruck ist jeweils aus dem Original übernommen. Die auf der Webseite verfügbare Übersetzung weicht geringfügig von meiner ab.)
„Im Leiden bleiben wir dem Prinzip des kreativen Widerstandes verpflichtet – eine feste und kostspielige Haltung gegen fortgesetztes Unrecht. Wir sehen kreativen Widerstand verkörpert in den palästinensischen Volksbewegungen, die sich gegen die Besatzung, gegen die Ausweitung von Siedlungen, gegen Siedlerterrorismus und Apartheid wehren. Wir sehen sie ebenso verkörpert in der Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Rechts- und Menschenrechts-Initiativen, in kulturellem, theologischem und diplomatischem Engagement, in Studierenden- und Arbeiterbewegungen. In all diesem und anderem erkennen wir effektive Mittel eines Widerstandes, der in Liebe gegründet ist – einer Liebe, die Wandel hervorbringen und Hoffnung erneuern kann.“ (§ 2.4)
„Wir schätzen die weltweiten Widerstandsbewegungen, die Unterstützung und den Druck, der von den Menschen auf der Straße ausgeübt wird, um Regierungen und internationale Gremien zur Verantwortung zu ziehen – um Israel durch Boykotte und Sanktionen zu isolieren, bis es internationales Recht umsetzt. Wir sehen dies aus einer moralischen Perspektive. Die Strategien des Boykotts, des Desinvestments und der Sanktionen sind, in unseren Augen, eine wirksame Form des kreativen Widerstandes. Sie sind gegründet in der Logik der Liebe und der Gewaltlosigkeit, zu der wir uns bereits in unserem ursprünglichen Dokument bekannt haben.“ (§ 2.5)
Ich bin selber nicht gläubig. Doch ich habe inzwischen verstanden, dass der Glaube (egal welcher Konfession) für sehr viele Palästinenser/innen eine existentielle Notwendigkeit ist. Ich hatte vor einigen Wochen Gelegenheit, einen Vortrag der palästinensisch-christlichen Friedensaktivistin Sumaya Farhat-Naser zu hören und mit ihr zu sprechen. Sie sagte: „Wir können es uns gar nicht leisten, nicht gläubig zu sein.“
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Die meisten Palästinenser/innen begreifen sich selbst als involviert in den Widerstand gegen die israelische Besatzung. Doch längst nicht alle sind Aktivist/inn/en. Für viele besteht der Widerstand einfach darin, dass sie nicht „freiwillig“, still und leise ihr Land verlassen und ihren gesamten Besitz den Zionisten überlassen, sondern vielmehr in und auf ihrem Land bleiben und jeden Tag versuchen, dort nach ihren Vorstellungen in Würde zu leben.
Es sind demnach Akte des Widerstands, wenn Bauern ihre Felder bestellen, ihre Oliven ernten, ihre Tiere auf die Weide führen, ihre von israelischen Soldaten zerstörten Häuser wieder aufbauen, ihre von Siedlern zerstörten Wasserleitungen instandsetzen. Es sind Akte des Widerstands, wenn Palästinenser/innen versuchen, in ihre Stadtviertel zurückzukehren, aus denen sie von der israelischen Armee mit vorgehaltener Waffe vertrieben wurden. Es sind Akte des Widerstands, wenn sich Dorfbewohner gewalttätigen Siedlern in den Weg stellen, um ihr Eigentum und ihre Familien zu schützen. Es sind Akte des Widerstands, wenn sie versuchen, die Brände zu löschen, die von den Siedlern gelegt wurden.
Es sind Akte des Widerstands, Verwandte oder Freunde im Nachbardorf zu besuchen – sich nicht abhalten zu lassen durch israelische Straßensperren, sog. „Checkpoints“, an denen die Palästinenser im besten Fall mit arroganter Herablassung behandelt werden. (In weniger guten Fällen werden sie verhaftet, misshandelt oder ermordet.) Es sind Akte des Widerstands, wenn sie sich in Gaza, im Herzen des Genozids, versammeln, um gemeinsam zu musizieren und zu singen. Es sind Akte des Widerstandes, wenn sie – mit unglaublicher Improvisationsgabe – aus den Trümmern des Krieges ihr Leben wieder aufzubauen versuchen. Es sind Akte des Widerstands, wenn sie mit bloßen Händen versuchen, Verwundete und Tote aus den Trümmern zu bergen. Es sind Akte des Widerstands, wenn Kinder in den Trümmern spielen.
Diese Akte des Widerstands, die aus unserer saturierten westlichen Perspektive so gar nicht widerständig aussehen mögen, können in Palästina durchaus „kostspielig“ sein, um das Wort aus dem Kairos-Text zu verwenden. Mancher Palästinenser bezahlte den Versuch, seine Tiere auf seinem eigenen Land zu weiden oder Oliven in seinem eigenen Hain zu ernten, mit dem Verlust eines Beines, seiner Gesundheit, seiner Freiheit – oder gar seines Lebens.
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Die Geschichte von der letzten Dattel in Gaza
von Asem Alnahbi
Ich habe diese Dattel sechs Monate lang aufbewahrt. Ich hatte sie gefunden und für die denkbar dunkelsten Tage aufgehoben: die Tage, an denen die Lebensmittel aus den Regalen verschwinden würden, an denen Hunger unser Leben beherrschen würde, an denen schon das Teilen eines Krümels zu einem Akt des Widerstands werden würde.
Diese Tage sind jetzt gekommen.
Wie viele Bewohner*innen Gazas liebe ich Datteln. Auch meine Mutter liebt sie. Vor einigen Wochen beschloss ich, dass es an der Zeit war, mich von meinem kleinen Schatz zu trennen. Ich gab diese eine Dattel meiner Mutter. Am nächsten Morgen gab sie sie an meine jüngste Schwester Nesma weiter. Und dann gab Nesma sie unserem zweijährigen Neffen Mo’men.
[…]
Wir überleben füreinander. Wir überleben, weil in Gaza niemand die letzte Dattel essen will. Und wir überleben, weil wir alle davon träumen, dass bald ein Tag kommen wird, an dem wir Freiheit und Datteln im Überfluss haben werden.
[Hervorhebung von mir.]
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Eine besondere Form des kreativen Widerstandes ist in Palästina die Bildung, also zu lernen, zu studieren. Palästinenser/innen lernen unter schwierigsten Bedingungen. Bildung ist für sie ein Akt des Widerstands geworden. Vor dem Krieg gegen Gaza war Bildung im Westjordanland und auch in Gaza für alle zugänglich. Die Alphabetisierungsrate betrug 97 Prozent.
Widerstand ist, mitten im Genozid irgendwo (in einem Zelt auf einem Trümmerhaufen, in einer Ruine) Unterricht abzuhalten. Widerstand ist, online mit dem Handy zu lernen. Widerstand ist, täglich in die Schule zu gehen, obwohl auf dem Schulweg gewalttätige israelische Siedler auf palästinensische Kinder lauern. Widerstand ist, zu einer wenige Kilometer entfernten Schule stundenlange Umwege über viele Checkpoints zu fahren. Widerstand ist, eine zerstörte Schule wieder aufzubauen. Widerstand ist, im Land zu bleiben und an einer palästinensischen Universität zu studieren.
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Die Zionisten verstehen die Bedeutung der Bildung für die Palästinenser/innen sehr gut. Es ist kein Zufall, dass sie gezielt Schulen und Universitäten zerstören, vor allem in Gaza, aber auch im Westjordanland.
Anfang November dieses Jahres meldete die UNO-Sonderbeauftragte für das Recht auf Bildung, Farida Shaheed, dass mehr als 660.000 Kinder in Gaza, die im Schulalter sind, derzeit nicht in die Schule gehen können. Außerdem waren von den mehr als 800 Schulen in Gaza 97 Prozent beschädigt oder zerstört.
Zeitgleich berichtete Hani Mahmoud in einem Video über die Neueröffnung einer Schule in Gaza-Stadt, in einem historischen Gebäude, das 800 Jahre alt ist und seit Jahrzehnten nicht mehr genutzt wurde. Es gibt dort keinen Strom und keine Tische. Aber es ist die einzige funktionierende Schule in diesem Gebiet.
Die Kinder sitzen auf Plastikstühlen in den alten Gewölben, alle ordentlich gekleidet und perfekt frisiert, wie für ein Schulfest. Manche Eltern, die ihre Kinder für diese Schule anmelden wollten, mussten abgewiesen werden – aus Platzmangel. Hani Mahmoud interviewt den Direkter der neuen Schule. Er sitzt im Rollstuhl. Im fehlen beide Beine und ein Arm.
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Ebenfalls Anfang November dieses Jahres feierten 150 Studierende der Al-Aqsa-Universität in Gaza ihren Studienabschluss. Sie sind die erste Generation von Studierenden in Gaza, die ihren Abschluss nach dem Beginn des Krieges im Oktober 2023 gemacht haben.
Die Feier ist auf einem Video dokumentiert. Soweit man sehen kann, sind es lauter junge Frauen. Glücksstrahlend feiern sie mit Musik, Gesang und Tanz, und mit ihren Graduiertenhüten auf dem Kopf.
Eine der Frauen hält eine kleine Rede, in der sie sagt: „Wir danken unseren Lehrern, die daran geglaubt haben, dass unsere Kraft mächtiger ist als jede Waffe.“
Rula Zyad Musleh sagt:
„Nach zwei Jahren Krieg, nach Verlust und Zerstörung, durch die ich meine Familie verloren habe, meine Mutter, meine Schwester, meinen Schwager und meine Nichte, sowie mein Zuhause und viele meiner Lieben und Verwandten, ist die Hoffnung wiedergeboren. Trotz des Leidens, des Krieges und seiner Tragödien bleiben wir standhaft angesichts aller Schwierigkeiten und Leiden. Ich bin nicht nur eine Universitätsabgängerin mit einem Abschluss in Englischer Sprache und ihrer Lehrmethoden, sondern auch ein lebender Beweis dafür, dass der menschliche Geist nicht besiegt werden kann, egal wie hart die Umstände sind.“
Ihre Kommilitonin Yasmine Abed erlitt im Krieg eine schwere Gehirnverletzung, die ihren Gleichgewichtssinn, ihre Bewegungen und ihre Sprache einschränkte. Sie musste daher ein Semester länger studieren. Doch auch sie hat den Abschluss geschafft und scheint völlig wiederhergestellt zu sein.
Alle 12 Universitäten Gazas wurden im Krieg zerstört oder schwer beschädigt.
Quellen:
Aussendung 28/2025 von Dr. Martha Tonsern, Vertretung des Staates Palästina in Österreich, Slowenien und Kroatien. [Originalquelle: https://electronicintifada.net/content/story-last-date-gaza/50865]
https://youtu.be/LXFHi4LWDbY?si=7Zzl6ZYN-OrDyrL1
https://aje.io/wpel3v?update=4095478
https://aje.io/wpel3v?update=4095669
https://aje.io/wpel3v?update=4095669
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