Weihnachtsbotschaften aus dem Heiligen Land

Bild: Bethlehem, Westjordanland, 6. Dezember 2025. [Wahaj Bani Moufleh, Activestills]

Videobotschaft aus dem christlich-palästinensischen Dorf Taybeh:

„Ich bin Pater Bashar Fawadleh, der katholische Priester in Taybeh. Ich bin so froh, heute hier zu sein und die Kerze des Friedens und der Gerechtigkeit anzünden zu dürfen. Siedler haben an diesem Ort ein Feuer angezündet. Nun stehen wir hier und entzünden am selben Ort stattdessen die Kerze des Friedens und der Gerechtigkeit. Außerdem pflanzen wir Olivenbäume auf dem Land, das die Siedler in Brand gesetzt haben. Unsere Botschaft ist eine Botschaft der Liebe und des Friedens, aus dem Land, in dem Jesus geboren wurde und in dem er gelebt hat, aus dem Land, das seit vielen Jahren Frieden braucht. Wir verbreiten dieses Licht des Friedens, und wir glauben, dass dieses Licht sich von diesem Land aus in der ganzen Welt verbreiten wird.“

Pater Fawadleh, ein Mann in den mittleren Jahren, steht auf einem steingepflasterten Platz im Freien, während er diese Worte in eine Kamera spricht. Hinter ihm sandsteinfarbene Steinmauern, über ihm der blaue Himmel. Er trägt sein schlichtes schwarzes Priestergewand und hält eine brennende rote Kerze in den Händen. Neben ihm steht ein anderer katholischer Würdenträger, der über dem schwarzen Gewand eine sehr schöne bestickte Kufiyah trägt. Auch er hält eine rote Kerze in der Hand, ebenso wie einige Kinder, darunter ein Mädchen in einem traditionellen palästinensischen Kleid mit aufwändiger Stickerei.

Taybeh ist das letzte vollständig christliche Dorf im Westjordanland und in ganz Palästina. Etwa 1.300 palästinensische Christen leben dort. Taybeh wurde in der jüngsten Vergangenheit immer wieder von israelischen Siedlern angegriffen. Im Sommer dieses Jahres legten sie ein Feuer hinter den Ruinen der Kirche des Heiligen Georg. Die Kirche stammt aus dem 5. Jahrhundert. Ich nehme an, das oben beschriebene Video mit Pater Fawadleh wurde an diesem Ort aufgenommen, und ich nehme an, er spricht über das Feuer des vergangenen Sommers. Dieses muss wohl als Versuch gewertet werden, die Reste der Kirche niederzubrennen. 10 Familien sind bereits aus Taybeh weggezogen – aus Angst vor den Übergriffen der Siedler.

Einige Wochen vor dem Brandanschlag in Taybeh ermordeten Siedler in einem nahegelegenen Dorf drei Palästinenser. Regelmäßig treiben sie ihr Vieh auf palästinensisches Weideland, manchmal in unmittelbarer Nähe palästinensischer Häuser. Solche Übergriffe geschehen beinahe täglich. In anderen Fällen setzten sie Autos von Palästinensern in Brand oder beschmieren Hauswände mit feindseligen und/oder rassistischen Graffitis.

In Bethlehem gab es in den vergangenen beiden Jahren keine Weihnachtsfeierlichkeiten. In diesem Jahr gibt es erstmals seit Beginn des Genozids in Gaza wieder einen großen bunt geschmückten und hell erleuchteten Weihnachtsbaum. Das „Erleuchten“ des Weihnachtsbaums wurde mit viel Musik laut und bunt gefeiert. Die Menschen in Bethlehem nehmen die Feierlichkeiten mit gemischten Gefühlen wahr. Einerseits sehen viele die Rückkehr der Weihnachtsfeiern – und damit die Rückkehr der Touristen – als ein Zeichen der Hoffnung. Andererseits gibt es sehr viel Mitgefühl mit den Menschen in Gaza und auch mit den Opfern des Zionismus im Westjordanland und im besetzten Ostjerusalem und nicht zuletzt mit den palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen, und es gibt große Sorgen und Ängste. Bethlehems Wirtschaft hatte unter dem Ausbleiben des Tourismus in den letzten beiden Jahren extrem gelitten. Die Stadt ist wirtschaftlich vom Tourismus abhängig.

Der russisch-israelische Journalist und Menschenrechtsaktivist Andrey X berichtete am Christtag aus Bethlehem:


„Es ist Weihnachten in Bethlehem, und wir sind in der Geburtskirche, wo – gemäß der christlichen Überlieferung – Jesus geboren wurde. Zehntausende Menschen sind aus aller Welt gekommen. Sie mussten mindestens zwei Checkpoints passieren, um nach Bethlehem zu gelangen. An beiden tun Israelis Dienst, nicht Palästinenser. Viele Checkpoints in der Umgebung von Bethlehem waren heute für lange Zeit geschlossen, um Christen aus dem Westjordanland daran zu hindern, hierher zu kommen; und die Christen aus Gaza durften überhaupt nicht nach Bethlehem kommen. Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Der Bau mehrere Siedler-Außenposten rund um Bethlehem wurde vorübergehend eingestellt, weil viele Touristen hier sind, und Israel möchte vor ihnen sein Gesicht wahren. Aber es ist natürlich nur eine vorübergehende Pause. Die ethnischen Säuberungen werden nach den Feiertagen fortgesetzt werden. Doch für den Augenblick gibt es ein kleines bisschen Frieden in diesem Land.“

Rev. Dr. Munther Isaac ist ein evangelischer Theologe und Pastor in Ramallah im Westjordanland. Hier einige Auszüge aus seiner diesjährigen Weihnachtsbotschaft an die Menschen im Westen:

„Im Westen ist Weihnachten ein kultureller Marktplatz. Es […] wurde zu einer Zurschaustellung von Reichtum, Nostalgie und Konsumwahn […].

Sogar die bekannten Zeilen des Weihnachtsliedes ,Stille Nacht’ verschleiern die wahre Natur der Geschichte: Jesus wurde nicht in eine Situation der Ruhe hineingeboren, sondern in eine Zeit des Umbruchs.

Er wurde unter militärischer Besatzung geboren, in eine Familie, die durch einen imperialen Erlass vertrieben wurde, in eine Region unter dem Schatten der Gewalt. Die heilige Familie war zur Flucht gezwungen, da – gemäß der Überlieferung – die Kinder von Bethlehem von einem fürchterlichen Tyrannen massakriert wurden, welcher entschlossen war, seine Regentschaft zu erhalten. Klingt das vertraut?

In der Tat ist Weihnachten eine Geschichte von Herrschaft, Ungerechtigkeit und gewöhnlichen Menschen, die der Herrschaft und der Ungerechtigkeit nicht entkommen können.

[…]

Heute ist Bethlehem umgeben von Mauern und Checkpoints, gebaut von einem Besatzer. Viele hier fühlen sich abgeschnitten, nicht nur von Jerusalem – das ihnen der Besatzer nicht zu besuchen erlaubt –, sondern von der globalen christlichen Vorstellung, welche das vergangene Bethlehem verehrt, aber das gegenwärtige oft ignoriert.

Diese Einstellung erklärt auch, warum so viele im Westen, während sie Weihnachten feiern, sich kaum um die Christen von Bethlehem kümmern. Schlimmer noch, viele akzeptieren Theologien und politische Einstellungen, die unsere Anwesenheit vollständig leugnen, um Israel zu unterstützen, das Imperium unserer Tage.

[…]

Bethlehem feiert Weihnachten zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder mit öffentlichen Festlichkeiten. Es war schmerzhaft, aber notwendig für uns, in den vergangenen beiden Jahren unsere Feierlichkeiten abzusagen; wir hatten keine Wahl.

In Gaza spielte sich ein Genozid ab, und als Menschen, die immer noch im Heimatland von Weihnachten leben, konnten wir das nicht ignorieren. Wir konnten nicht die Geburt Jesu feiern, während Kinder in seinem Alter tot aus dem Schutt gezogen wurden.

Dass wir in diesem Jahr feiern, bedeutet nicht, dass der Krieg, der Genozid oder die Strukturen der Apartheid beendet wären. Noch immer werden Menschen ermordet. Noch immer sind wir belagert.

Vielmehr ist unser Fest ein Akt des Widerstands – ein Zeichen dafür, dass wir noch immer hier sind, dass Bethlehem die Hauptstadt von Weihnachten bleibt, und dass die Geschichte, die diese Stadt erzählt, weitergehen muss.

***

Auch in Gaza wird in diesem Jahr, zum ersten Mal seit 2022, wieder öffentlich Weihnachten gefeiert, und zwar in der Kirche der Heiligen Familie. Dies ist die einzige katholische Kirche in Gaza. Sie wurde durch einen israelischen Angriff beschädigt. Dennoch leben dort Binnenflüchtlinge. 

Die Menschen haben die Kirche festlich geschmückt: Es gibt einen Lichterbaum, Girlanden und Christbaumkugeln. Manche Kinder tragen rote Weihnachtsmützen mit Bommel. Ähnlich wie im Westjordanland ist auch hier vielen Mitgliedern der Gemeinde nicht wirklich nach Feiern zumute. Zu schwer liegen die Traumata des Krieges und die nach wie vor nahezu unerträglichen Lebensbedingungen auf den Seelen der Menschen. Dennoch empfinden manche das gemeinsame Feiern als einen Neubeginn mit einem Funken Hoffnung. Es gibt einen Lichterbaum in der Kirche, Girlanden und Christbaumkugeln. Manche Kinder tragen rote Weihnachtsmützen mit Bommel. 

Quellen:

https://www.facebook.com/reel/1344160523589253

https://www.vaticannews.va/en/world/news/2025-07/ihab-hassan-taybeh-christian-village-settler-violence.html

https://www.timesofisrael.com/palestinians-say-settlers-again-attacked-village-of-taybeh-in-west-bank/

duck://player/L5or7ugj7NU

duck://player/OJD2o14Ro8k

https://www.instagram.com/p/DSr-1HnDOkM/

https://www.aljazeera.com/video/newsfeed/2025/12/7/bethlehem-lights-up-for-christmas-for-first-time-since-gaza-genocide-began#flips-6386152637112:0

https://www.aljazeera.com/opinions/2025/12/24/christmas-is-not-a-western-story-it-is-a-palestinian-one

https://aje.io/8zchpb?update=4195594

https://aje.io/8zchpb?update=4195601

***

Ein Jahr in der Hölle

Heute vor genau einem Jahr, am 27. Dezember 2024, wurde Dr. Hussam Abu Safiya von Soldaten der israelischen Armee von seinem Arbeitsplatz weg verschleppt, zusammen mit etwa 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die meisten wurden bald darauf wieder entlassen. Dr. Abu Safiya wurde zunächst in das berüchtigte israelische Militärlager Sde Teiman gebracht und später in das Ofer-Gefängnis verlegt.

Die israelische Armee leugnete zunächst, Abu Safiya überhaupt festgenommen zu haben. Deshalb ist zu vermuten, dass der ursprüngliche Plan war, ihn „verschwinden zu lassen“ – wie viele andere palästinensische Gefangene auch. Nachdem etliche Zeugen ihn aber sowohl in Sde Teiman als auch im Ofer-Gefängnis gesehen hatten, wurde behauptet, er wäre ein hochrangiges Hamas-Mitglied, und er solle wegen Terrorismus angeklagt werden. Es kam jedoch nie zu einer Anklage. Vielmehr wurde er als „ungesetzlicher Kämpfer“ eingestuft. Das bedeutet – nach israelischem (Un-)Recht, dass er ohne Anklage und Verfahren auf unbestimmte Zeit inhaftiert werden kann. Es bedeutet auch, dass niemand – nicht einmal Anwälte – Auskunft darüber erhalten, was ihm eigentlich zur Last gelegt wird und über welche Beweise die Behörde verfügt.

Dr. Abu Safiya bekommt alle paar Monate Besuch von seiner Anwältin. Außerdem wurde er einmal im israelischen Fernsehen vorgeführt. Er wurde gefoltert und misshandelt. Er hat sehr viel Körpergewicht verloren und leidet an einer Reihe von medizinischen Problemen. Die nötige medizinische Versorgung wird ihm vorenthalten.

Der inzwischen 52jährige Kinderarzt war Direktor des Kamal-Adwan-Krankenhauses im Norden des Gazastreifens. Seit Mitte Oktober 2024 wurde das Kamal-Adwan-Krankenhaus immer wieder von der israelischen Armee angegriffen. Bei einem dieser Angriffe starb einer von Dr. Abu Safiyas Söhnen, bei einem anderen wurde der Arzt selbst schwer am Bein verletzt.

Trotz des persönlichen Leids war Dr. Abu Safiya nicht nur unermüdlich für seine Patient/inn/en da, sondern er war auch eine wichtige Stimme Gazas: Immer wieder schickte er per Video Berichte über die verzweifelte Situation in seinem Krankenhaus in die Welt – stellvertretend für alle Gesundheitseinrichtungen in Gaza. Er hätte leicht aus Gaza flüchten können (er verfügt über einen kasachischen Pass), doch es kam für ihn nicht in Frage, seine Leute im Stich zu lassen.

Am frühen Morgen des 27. Dezember 2024 forderten Soldaten der israelischen Armee per Lautsprecher die vollständige Evakuierung des Krankenhauses. Dr. Abu Safiya und einige Dutzend Mitarbeiter/innen und Patient/inn/en blieben jedoch. Tagsüber wurde das Krankenhaus beschossen. In den oberen Stockwerken brach ein Feuer aus. Der Strom fiel aus. Gegen 10 Uhr Abends mussten auch die verbliebenen Mitarbeiter/innen und Patient/inn/en das Krankenhaus verlassen. Einige wurden angewiesen, in ein fanderes Krankenhaus in der Nähe zu gehen. Die Übrigen wurden an den Händen gefesselt und mussten zu Fuß zu einer von der israelischen Armee beschlagnahmten Schule gehen. Dort mussten sie sich bis auf die Unterwäsche ausziehen und in der Kälte warten. Sie wurden verhört, gedemütigt und geschlagen. Einige von ihnen – darunter Dr. Abu Safiya – wurden danach nach Israel verschleppt und zunächst in Sde Teiman inhaftiert.

„Welcome to hell“ – das sagte ein Soldat zu palästinensischen Gefangenen, als diese vor einem israelischen Gefängnis aus dem Bus stiegen. „Welcome to Hell“ ist auch der Titel eines Berichts der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem über das israelische Gefängnissystem als ein System von Folterlagern.

Folter und Misshandlung von palästinensischen Gefangenen sind für zahlreiche israelische Haftanstalten dokumentiert. An der Tagesordnung sind u. a. schwere Schläge, nächtliche Razzien, Fesseln, Isolationshaft, extreme Kälte, das Vorenthalten von Kleidung, Decken und Hygiene-Artikeln (einschließlich solcher für die Monatshygiene bei weiblichen Gefangenen); der Einsatz von Tränengas, Elektroschocks, Gummigeschossen und Polizeihunden.

Quellen:

https://www.aljazeera.com/news/2025/12/27/a-year-on-israel-still-holds-gaza-doctor-hussam-abu-safia-without-charge

https://www.btselem.org/publications/202408_welcome_to_hell

https://www.aljazeera.com/video/fault-lines/2025/9/18/the-disappearance-of-dr-abu-safiya

https://aje.io/8zchpb?update=4195350

Zu Dr. Abu Safiyah siehe auch meine Blog-Beiträge vom 4. Januar, 8. Januar, 24. April und 16. Juli 2025.

Abonennt/inn/en erhalten jeden neuen Beitrag automatisch per E-Mail.


Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar