Am 26. September kündigte der amerikanische Präsident Donald Trump an, er sei zuversichtlich, dass ein „Deal“ mit der Hamas unmittelbar bevorstehe. Ein Hamas-Sprecher teilte dem arabischen Sender Al Jazeera mit, die Hamas habe keinerlei Kenntnis von irgendeinem neuen Plan. Auch von israelischer Seite gab es zu diesem Zeitpunkt dazu noch keinerlei Kommentare.
Am selben Tag hielt der israelische Premierminister Netanjahu seine Rede vor der UN-Generalversammlung. Diese Rede entwickelte sich zum diplomatischen Fiasko für Israel. Als Netanjahu auf das Redner-Podium begleitet wurde, begann der große Auszug aus dem Sitzungssaal. Dutzende Delegierte verließen den Raum.
Kommentatoren konstatierten, Israel wäre noch nie in seiner ganzen Geschichte so isoliert gewesen wie gerade jetzt. Dies zeigte sich nicht nur durch die gähnende Leere in den Sitzreihen, während Netanjahu sich selbst für seine militärischen Erfolge feierte und Israel eine glänzende Zukunft vorhersagte. Es zeigte sich auch in zahlreichen Redebeiträgen der Vertreter anderer Nationen.
Der kolumbianische Präsident Gustavo Petro sagte in seiner Rede vom 23. September:
Wir müssen den Genozid in Gaza stoppen. Die Menschheit darf keinen einzigen weiteren Tag dieses Genozids erlauben, darf es dem genozidalen Netanjahu und seinen Verbündeten in Europa und den Vereinigten Staaten nicht erlauben, weiterzumachen.
Es tut mir leid, Präsident Macron. Wir können immer weiter reden und reden, wenn jeden einzelnen Tag, jede einzelne Minute, eine Rakete die Körper von Babys und Kindern in dem arabischen Staat Palästina zerstört.
Jeden Tag gibt es Entscheidungen, Resolutionen, die im Sicherheitsrat durch ein Veto abgelehnt werden. Jeden Tag sterben mehr und mehr Kinder. Mehr und mehr Bomben, mehr und mehr Tod.
Petro forderte Taten statt Worte. Er ist meines Wissens der erste Staatschef, der eine militärische Intervention in Gaza fordert, eine Friedenstruppe, aber nicht die UNO-Blauhelme, weil die seien für so einen Einsatz nicht ausgebildet und dazu auch nicht bereit. Vielmehr brauche es eine mächtige Armee von Ländern, die Genozid nicht akzeptieren. Er erwähnt konkret die Armeen Asiens, die slawischen Völker und die Völker Lateinamerikas.
Petro verlangt außerdem eine Reform des UN-Sicherheitsrates. Das Vetorecht müsse abgeschafft werden.
Der pakistanische Premierminister Shehbaz Sharif erinnerte in seiner Rede an Hind Rajab.
Der Premierminister von Saint Vincent und den Grenadinen, Ralph Gonsalves, sagte unter anderem: „Mit Sicherheit ist der heißeste Platz in der Hölle reserviert für diejenigen, die einen Genozid begehen, und für diejenigen, die diesen unterstützen.“
Micheal Martin, Premierminister von Irland, sagte unter anderem: „Im Angesicht eines Genozids kann es kein ‚business as usual‘ geben.“
Muhammad Yunus sprach als Delegierter für Bangladesch. Über Gaza sagte er:
Wir stimmen mit der unabhängigen internationalen UN-Untersuchungskommission überein, dass wir Zeugen eines Genozids [in Gaza] sind. Zum Unglück für die Menschheit tun wir nicht genug, diesen zu stoppen. Wenn das weitergeht, werden uns weder zukünftige Generationen noch die Geschichte vergeben.
Aus der Rede des Präsidenten von Ghana, John Dramani Mahama, über den Streit darüber, ob man das, was in Gaza geschieht, einen „Genozid“ nennen darf:
Aus Angst vor Repressalien spielen wir hier in der Generalversammlung seit fast zwei Jahren ein Versteckspiel mit der Sprache, damit wir leichter das entschuldigen können, was – wie wir alle wissen – in Gaza geschieht. Aber da ist das Ding, egal wie du es nennst. Wenn etwas wie eine Ente aussieht, schwimmt wie eine Ente, quakt wie eine Ente, nun – dann muss es eine Ente sein.
Die Verbrechen in Gaza müssen aufhören. Die Verbrechen in Gaza müssen aufhören.
Mahama kritisierte außerdem die Entscheidung der USA, den Palästinenserpräsidenten Abbas an der persönlichen Teilnahme an der Versammlung zu hindern. (Ihm war das Visum verweigert worden.)
Mahama trat aber vor allem als selbstbewusster Repräsentant Afrikas auf. Er forderte mindestens einen Sitz für Afrika im UN-Sicherheitsrat. Afrika sei die Zukunft. Wenn manche das noch nicht erkannt hätten, dann liege das wohl daran, dass sie die Dinge „durch die Linse von Jahrhunderten des Rassismus, Kolonialismus, Imperialismus und der daraus resultierenden impliziten Voreingenommenheit“ betrachten würden.
Die slowenische Präsidentin Nataša Pirc Musar sagte am Ende einer durchweg sehr starken Rede:
Wir sollten das Richtige tun. Wir haben den Holocaust nicht verhindert. Wir haben den Völkermord in Ruanda nicht gestoppt. Wir haben den Völkermord in Srebrenica nicht gestoppt. Wir müssen den Völkermord in Gaza stoppen. Es gibt keine Entschuldigungen mehr. Keine einzige.
Viele Länder des „globalen Südens“ (also die Länder Afrikas, Lateinamerikas und Asiens) traten selbstbewusst auf bei dieser 80. UN-Generalversammlung, und Gaza war für sie ein zentrales Thema. Sie nahmen sich kein Blatt vor den Mund und kritisierten nicht nur Israel, sondern auch die USA sowie europäische Verbündete Israels. Von einigen Ländern Europas wurden sie unterstützt.
Doch nicht nur in den Hallen der UN, sondern auch draußen, auf der Straße, taten die Menschen ihre Meinung kund. Während die Menschen draußen für Gaza auf die Straße gingen, wurde am Rande der Versammlung über das weitere Schicksal Palästinas gesprochen – jedoch wieder einmal, ohne die Betroffenen – nämlich die Palästinenser – zu den Beratungen hinzuzuziehen.
Am Ende der vergangenen Woche wurde der Plan offiziell verkündet. Er besteht aus 20 Punkten. Die wichtigsten Punkte im Überblick:
- Die Hamas soll binnen 72 Stunden alle Geiseln freilassen und auch die Toten übergeben.
- Im Austausch sollen mehrere Hundert palästinensische Gefangene aus israelischen Gefängnissen freigelassen werden.
- Hamas-Kämpfer, die dann ihre Waffen abgeben, sollen Amnestie erhalten.
- Hamas-Kämpfer, die Gaza verlassen wollen, sollen freies Geleit erhalten.
- Wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, soll humanitäre Hilfe nach Gaza gelassen werden.
- Gaza soll danach von einem „technokratischen, apolitischen“ palästinensischen Kommitee verwaltet werden, unter einem internationalen „Board of Peace“. Die Hamas und andere „terroristische Fraktionen“ sollen in diesem „Board“ weder direkt noch indirekt eine Rolle spielen. Auch die Palästinensische Autonomiebehörde soll in Gaza vorerst nichts zu sagen haben. In unbestimmter Zukunft wäre dies eventuell möglich, allerdings müsse sich die PA vorher „reformieren“. Dafür sind als „Board“-Mitglieder unter anderem Trumps Schwiegersohn Jared Kushner sowie der ehemalige Premierminister Tony Blair vorgesehen. Kushner träumt davon, mit Immobiliengeschäften in Gaza viel Geld zu machen. Tony Blair spielte eine unrühmliche Rolle im Irak-Krieg und ist daher im gesamten Nahen Osten verhasst.
- Die israelische Armee soll sich „in Phasen“ aus Gaza zurückziehen. Eine „Sicherheits-Pufferzone rund um Gaza“ soll jedoch bestehen bleiben.
- Kein Palästinenser soll aus Gaza vertrieben werden.
- Diejenigen, die Gaza „freiwillig“ verlassen, sollen ein Rückkehrrecht haben.
- Der Plan lässt theoretisch irgendwann in unbestimmt ferner Zukunft die Möglichkeit eines palästinensischen Staates offen – aber es gibt dafür nicht nur keine Garantien, sondern auch keinen konkreten Plan.
Hier kann man den vollen Text des Trump-Plans nachlesen:
Netanjahu verkündete öffentlich (im Beisein Trumps), er sei mit diesem Plan einverstanden. Im selben Atemzug sagte er jedoch, die israelische Armee werde im größten Teil Gazas stationiert bleiben, und einen palästinensischen Staat werde es niemals geben.
Damit ist eigentlich das Wichtigste zu diesem Plan gesagt: Während die Hamas den wohl wichtigsten Teil ihrer Bringschuld (die Freilassung der israelischen Gefangenen) sofort liefern soll, gibt es für den Abzug der israelischen Truppen aus Gaza überhaupt keinen konkreten Zeitplan. Mehr noch: Es ist ausdrücklich festgeschrieben, dass die israelische Armee zumindest einen Teil von Gaza (wie viel ist nicht näher bestimmt) dauerhaft besetzt hält (oder gar annektiert – das ist hier nicht genauer ausgeführt). Genau das ist auch der vielleicht wichtigste Kritikpunkt von palästinensischer Seite. Darüber hinaus ignoriert dieser Plan das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung. Ein dritter wichtiger Kritikpunkt besteht darin, dass in dem Plan nicht die Rede davon ist, dass Israel für seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen wird.
Der Premierminister von Katar, Al-Thani, reagierte auf den Trump-Plan grundsätzlich positiv, sagte aber auch, dass einige Punkte weiterer „Klärung und Verhandlung“ bedürfen.
Die Palestinian Human Rights Organizations Council (PHROC) hält in einem Statement fest:
Die PHROC begrüßt alle echten Versuche, den Genozid in Gaza zu beenden. Doch der US-Plan zielt nicht darauf ab, Israels siedlerkolonialistisches Apartheidregime und die illegale Besatzung zu beenden. Vielmehr zielt dieser Plan darauf ab, dieses Regime und die Besatzung zu verfestigen und zu normalisieren.
Die Gruppe fordert die internationale Gemeinschaft auf, den Plan abzulehnen, weil er einen manifesten Bruch des Selbstbestimmungsrechtes der Palästinenser darstelle.
Trump stellte der Hamas ein Ultimatum: Die Hamas müsse den Plan bis spätestens morgen (5. Oktober) akzeptieren, andernfalls drohte er einmal mehr, dass in Gaza die Hölle losbrechen werde. Die Hamas erklärte, sie lasse sich nicht unter Zeitdruck setzen. Aber sie übermittelte ihre Reaktion bereits am 3. Oktober. Die Antwort lautete: Man sei grundsätzlich bereit, alle israelischen Gefangenen freizulassen und eine palästinensische Technokraten-Verwaltung Gazas zu akzeptieren. Es gäbe jedoch noch Verhandlungsbedarf über einige Punkte in dem Plan. Die Freilassung aller Gefangenen binnen 72 Stunden sei unrealistisch.
Meine große Angst ist, dass Folgendes geschieht: Die Hamas wird die Gefangenen freilassen. In Israel wird dies als Erfolg der Regierung gefeiert werden und die Position Netanjahus und seiner Spießgesellen innerhalb Israels stärken. Das Morden in Gaza wird weitergehen, und die Mehrheit der Israelis wird es akzeptieren, wenn nicht sogar begrüßen, denn jetzt besteht ja keine Gefahr mehr für die Geiseln, und auch jetzt schon wünscht die Mehrheit der Israelis die Vertreibung aller Palästinenser aus dem gesamten Palästina. Der Plan der ethnischen Säuberung Gazas wird konsequent weiterverfolgt werden. Überdies wird sich Israel ermutigt fühlen, mit seiner aggressiven Politik im Westjordanland, im Libanon und in Syrien fortzufahren.
Dies könnte nur durch massiven Druck auf Israel verhindert werden. Dass dieser Druck in absehbarer Zeit von den USA kommt, würde ich sehr gerne glauben, aber ich kann es nicht.
Ich möchte nicht vergessen zu erwähnen, dass in der Zwischenzeit (während all der schönen und weniger schönen Reden) das Morden in Gaza und der israelische Terror im Westjordanland und im Libanon unvermindert fortgesetzt wurden.
Ich würde mich so gern irren, aber der Trump-Plan gibt mir keine Hoffnung. Ich bin trotzdem nicht hoffnungslos, doch meine Hoffnung speist sich aus anderen Quellen. Dazu möchte ich in naher Zukunft mehr schreiben. Für heute muss dieses Bild genügen:

Bild: Demonstrationszug für die Menschen in Gaza am 27. September 2025 in Berlin. Die Veranstalter schätzten die Anzahl der Teilnehmer/innen auf über 100.000.
Quellen:
https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/9/26/un-general-assembly-2025-live-day-four (12.35, 13.29, 14.00, 14.03, 15.00, 15.05, 15.22, 15.29, 16.01, 17.00)
https://www.youtube.com/watch?v=uAeq1YlYS7c
https://gadebate.un.org/en/80/ghana
https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/9/30/live-israel-kills-39-in-gaza-as-hamas-reviews-trumps-proposal-to-end-war (16.23, 16.45, 17.45, 18.15)
https://www.palestinechronicle.com/trumps-gaza-peace-plan-the-good-the-bad-and-the-ugly/
https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2025/10/3/live-israel-blows-up-gaza-city-homes-as-palestinians-ordered-to-flee (16.25, 16.55, 18.15)
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